Kriminalroman - Gastrezension von Lienz - ATLAS - Alles auf Anfang von Martin Calsow

22 Januar 2016

A bis Z: Autist, der zischt

Alliteration als Anfang, Autismus als Aufhänger: macht neugierig, auch die Geschichte selbst ist eine gute Idee, leider Löcher in der Logik und kleinere sachliche Patzer.

Martin Calsow beginnt mit „Atlas – Alles auf Anfang“ eine neue Reihe um den verdeckten Ermittler Andreas Atlas. Die Thematik der Geschichte ist grundsätzlich interessanter Stoff, nämlich die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit gepaart mit einem millionenschweren Geheimnis.


Sauber ist er nicht, der verdeckte Ermittler, hat er doch ein Millionenvermögen unterschlagen, mit dem er sich asap absetzen will. Für diesen letzten Schritt aus seinem alten Leben ist schon alles bereit. Um seinen Arbeitgeber, das BKA, hinters Licht zu führen, lässt er sich zum Schein in seinem Heimatort im Teutoburger Wald nieder. Von dort war er 23 Jahre weg. 

Die eigene Familie empfängt ihn sehr abweisend. Die alten Freunde sind jedoch aufgeschlossener. Problematisch aber wird es, als er merkt, dass die alte Liebe zu Grete noch immer glimmt. Zudem ist Atlas der einzige, der mit Gretes schwer autistischem Sohn Lars klar kommt. Seine Vergangenheit holt Atlas unvermeidlich ein. Das umso mehr, als ihn Schuldgefühle packen: Kurz vor seinem Weggang vor über 20 Jahren verschwand seine Schulkameradin Gesa und wurde nie wieder gesehen. Atlas macht sich an die Aufklärung und gerät zudem in ein krummes Geschäft.

Der erste Band endet mit der Lösung des Falles nebst einem Hinweis auf drohendes böses Ungemach. Der Leser bleibt also neugierig zurück.

Aufbau:

Das Buch beginnt mit einem Prolog: Gesas Verschwinden samt dem eindeutigen Hinweis, dass sie getötet wurde. Im Anschluss entfaltet sich die Handlung in der Gegenwart – Atlas‘ Rückkehr und seine Suche nach Gesa. Wie das viele Autoren tun, gibt es Rückblenden, die sich aber nicht allein auf die Sicht des (vermeintlichen?) Täters beschränken. Sie heben sich durch die Erzählzeit Präsens von der aktuellen Handlung ab.

Stärken:

Martin Calsow, er ist auch Journalist, lässt mich gleich zu Anfang grinsen, weil er sehr originelle Vergleiche zieht, z.B. „als Adler gestartet und als Suppenhuhn geendet“.

Die Geschichte ist eine wirklich gute Idee – wie ich bereits gesagt habe. Zwar wird der relativ junge Leser (Mitte 20) möglicherweise diese Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit nicht so stark empfinden können wie all jene um die 40. Dennoch – der Blick zurück ins Unabänderliche hat immer eine starke Wirkung.

Der Protagonist Andreas Atlas hat mir wirklich gefallen. Er ist stark und schwach, durchtrieben und ehrlich, irgendwie ein krummer Hund und trotzdem hat er’s Herz am rechten Fleck. Einzig eines hat mich verwirrt: Mehrfach wird betont, dass Atlas hager ist. Aber er hat trotzdem eine Speckrolle am Bauch? Hm … Sei’s drum, mir fallen solche Kleinigkeiten immer auf …

Auch die anderen Figuren, allen voran Lars, Gretes autistischer Sohn, sind sehr schön gezeichnet. Zudem kommen die Gefühle zwischen Grete und Atlas sehr realistisch zur Geltung – ich fühlte mit beiden mit. Im Verhältnis zwischen Atlas und dem autistischen Lars kommt subtil Humor zum Tragen, der beweist, wie intelligent Autisten sind, und der Lars trotz seiner Schroffheit sehr liebenswert macht.

Besonders gefallen haben mir außerdem die unerwartete Wendung der Ereignisse und der immer stärker zunehmende Druck auf Atlas.
Das Lokalkolorit hat mich allen Ernstes an meinen ersten, wenig schönen Deutschlandbesuch erinnert. Ich denke, Martin Calsow transportiert diese vertrocknete Art der Ostwestfalen sehr gut.

Mittelmaß:

Die beiden Verdächtigen werden für meinen Geschmack ein wenig zu negativ gezeichnet. Dadurch verlieren sie an Glaubwürdigkeit. [Es gibt zwei Tippfehler, die mir berufsbedingt bei fremden Texten immer ins Auge springen. Schade, grafit Verlag kann’s besser!] Den Bezug zu Mexiko betreffend, finde ich die Hintergrundhandlung schal. Aber ich habe auch einen etwas engeren Bezug zum Land.

Schwäche:

Eine Schwäche sind plötzliche Sprünge in der Handlung, unter denen die Nachvollziehbarkeit derselben Handlung leidet, diese somit nicht optimal konstruiert erscheint. Darunter fällt auch, dass die Begründung für schuldig oder nicht rein durch „tell“ mittels Altas unverzüglicher subjektiver Schlussfolgerung dargestellt wird.

Gesamtfazit:

Die wirklich starke Figur Andreas Atlas und die gute Idee gleichen die Schwächen weitgehend aus. 4 Sterne. Jetzt interessiert mich, wie es mit Atlas weitergeht.





Mehr Infos zu Martin Calsow findet ihr hier mit einem Klick



Erscheinungsdatum Erstausgabe : 08.09.2015 
Aktuelle Ausgabe : 08.09.2015 
ISBN: 9783894254605 
Flexibler Einband 256 Seiten 
Sprache: Deutsch

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