Roman - Into the Water von Paula Hawkins

28 Mai 2017

Die Verlockung des Vergessens

Intelligent spielende Perspektiven


Als Nel Abbott tot im Fluss aufgefunden wird, kehr Jules nach Beckford zurück, um sich um ihre Nichte zu kümmern. Nie wieder wollte sie zurück an diesen Ort, in das Haus ihrer Familie, das am Ufer des dunklen Flusses liegt,
in der Nähe des Drowning Pools, der furchtbare Erinnerungen heraufbeschwört. Nele sei gesprungen, heißt es, doch Jules ist gewiss, dass Nele niemals in das geliebte Wasser gesprungen wäre.

Julia, ich bin’s. Du musst mich zurückrufen. 
Bitte Julia. Es ist wichtig. 
Du musst mich so bald wie möglich anrufen, in Ordnung? 
Ich ... äh ... Es ist wichtig. Okay. Ciao. (Zitat)


Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf. 1989 zog sie nach London, wo sie bis heute lebt. Sie arbeitete fünfzehn Jahre lang als Journalistin, bevor sie mit dem Schreiben von Romanen begann. Ihr erster Spannungsroman Girl on the Train wurde zu einem internationalen Phänomen. Der Roman wurde in über 40 Sprachen übersetzt, eroberte weltweit die Bestsellerlisten und wurde 2016 mit Emily Blunt in der Hauptrolle verfilmt. (Quelle: Blanvalet Verlag)


Nach Girl on the Train ist Into the Water der neue Spannungsroman von Paula Hawkins. Der als solcher im Genre Roman publiziert ist.

Girl on the Train hatte mich seinerzeit nicht vollkommen überzeugt, doch ich war mir sicher, dass ein zweiter Roman von Paula Hawkins literarisch sicher ausgereifter und noch intensiver sein würde. Dementsprechend waren meine Erwartungen an diesen Roman sehr hoch. 

Nach wenigen Seiten schlägt der Wiedererkennungswert Paula Hawkins Stils gnadenlos zu. Absolut im gleichen Stil und Ausdruck, beginnt sie die Geschichte der beiden Schwestern Nel und Jules Abbott zu erzählen. 

Nel, die tot im Fluss aufgefunden wird, liebte den Fluss ohnegleichen. Tagtäglich, bei Wind und Wetter, schwamm sie in seinen Fluten. Fast mystisch fühlte sie sich zu ihm hingezogen und sie beabsichtigte, seine geheimnisvolle Geschichte aufzuschreiben. Doch diese Geschichte erzählt auch von den toten Frauen und Mädchen, die sich in seine Fluten stürzten. Nels Recherchen brachten fast den ganzen Ort gegen sie auf, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Bis ins 16. Jahrhundert reichten ihre Nachforschungen zurück, die mystische, brutale Rituale offenlegten. 

Manche meinen, die Frauen hätten dem Wasser etwas von ihrem Wesen überlassen, andere behaupten, der Fluss selbst hätte sich etwas von ihrer Macht bewahrt, denn seither zieht dieser Ort die Glücklosen, die Verzweifelten, die Verzagten, die Verlorenen an. Sie alle kommen hierher, um mit ihren Schwestern zu schwimmen. (Zitat)

Als Nel, die Spirituellem nicht abgeneigt war, stirbt, kehrt Jules ins Haus der Familie zurück. Sie ist sich gewiss, dass Nel auf Grund ihrer Verbundenheit zum Fluss niemals gesprungen wäre. In Zwiesprache mit Nel durchlebt sie so alte Erinnerungen, leidet unter großen Ängsten, Schmerz, einem schlechten Gewissen und sie muss sich der Missgunst und Wut Nels Tochter Lena stellen.

Paula Hawkins hat ihren Roman psychologisch geschickt aufgebaut, sodass ein gewisser Sog zunächst das Tempo des Lesens bestimmt. Anfangs treibt die Neugierde durch die Seiten, denn der Einstieg ist mehr als rätselhaft und scheint zunächst undurchschaubar. Als Leser benötigt man viel Fantasie und langanhaltendes Interesse, sowie die Bereitschaft unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, um letztendlich spekulierend einen roten Faden greifen zu können. Persönliche Interpretationen von Sätzen, Absätzen und Kapiteln sind gefragt, bis man feststellt, dass sich die Autorin in zu vielen nichtig wichtigen Nebenschauplätzen verliert. Müßig und schwerfällig wird das Lesen, wenn man erkennt, Perspektive für Perspektive, erneut in weiten, nebensächlichen Ausschweifungen festzuhängen.

Eine wenn auch gelungene, mystisch, rätselhafte und düstere Grundstimmung reicht nicht aus, um zu fesseln, wenn eine ordentliche Portion literarischen Pfeffers fehlt. Spannungshöhepunkte fehlen fast gänzlich, obwohl sie als Pfeiler des Spannungsromans unabdingbare Elemente wären.

Paula Hawkins zeichnet ihre Charaktere hinreichend intensiv, vielschichtig und gut. Sie erlaubt dadurch einen sehr tiefen Blick in die Seelen der einzelnen Persönlichkeiten und eröffnet dadurch das Verständnis nachvollziehbarer Motivationen von Handlungen und Denkweisen. Aber diese ausgeprägt ausführliche Zeichnung macht nicht wett, dass uninteressantes, rückblickend, ellenlang beleuchtet wird.

Sehr gut hingegen ist Paula Hawkins intelligentes Spiel der Perspektiven. Großartig in Szene gesetzt wirken die wechselnden Perspektiven enorm. Die Figuren erhalten Präsenz und mit dem Perspektivwechsel läuft die Geschichte weiter. Die Story wird nicht abwechselnd aus Sicht einer Figur erzählt, sondern sie wird von der nächsten Figur/Perspektive vorangetrieben.

Die Grundidee von Into the Water ist interessant, aber die Umsetzung ist alles andere als überzeugend. 


Into the Water ist ein intelligentes Spiel der Perspektiven, dass den geschickten psychologischen Aufbau unterstreicht. Wer bereit ist unermüdlich Zusammenhänge erkunden zu wollen, zu spekulieren und stetig zu interpretieren, der könnte mit diesem Roman einen Lesegenuss empfinden, wenn er über Längen hinwegsieht und das Verlieren in Nebenschauplätzen akzeptiert.


©nisnis-buecherliebe



Erscheinungsdatum Erstausgabe: 24.05.2017
Aktuelle Ausgabe: 24.05.2017
Verlag: Blanvalet
Flexibler Einband 448 Seiten
Sprache: Deutsch

23 Kommentare:

  1. Girl on the Train hat mir schon gar nicht gefallen, dann wird mir das sicher auch nicht gefallen.

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    1. Liebe Manuela,

      Paula Hawkins liebt man, oder eben nicht. Für etwas dazwischen, lässt die Autorin kaum Raum.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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    2. Ich fand Girl on the Train ziemlich gut (bis auf ein paar Kleinigkeiten, die mich gestört haben), aber das hier ging für mich gar nicht ... Wie viele PoVs kann man eigentlich noch in ein Buch packen?

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    3. Hey liebe Denise,

      wenn du mir bitte verrät was PoVs sind, soooory :-)

      Liebe Grüße

      Nisnis

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    4. Point of Views - also Blickwinkel ;)

      Liebe Grüße
      Ascari

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    5. Okay :-), PoVs habe ich so noch nie gelesen :-).

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    6. Ich bin in englischen Rezensionen irgendwann mal darüber"gestolpert". Da wird das anscheinend öfter verwendet ;).

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  2. Liebe Anja,
    vielen Dank für die schöne Rezi! Da mich 'Girl on the train' schon nicht reizen konnte, vertraue ich auf dich, und lasse auch hier die Finger davon.

    LG Tanja

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    1. Liebe Tanja,

      ich bin mir sehr sicher, dass du mit Into the Water sehr unglücklich wärst.

      Danke dir für dein Vertrauen.

      Liebe Grüße

      Anja

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  3. Hallo liebe Anja,
    dane für diese sehr schöne und aussagekräftige Rezension.
    Bei Girl on the Train habe ich lange überlegt und letztendlich die Finger von gelassen. Nun, nach Deinem Beitrag werde ich auf dich vertrauen und auch hierauf verzichten.
    Liebe Grüße
    Kerstin

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    1. Liebe Kerstin,

      Paula Hawkins schreibt schon kunstvoll, aber sie kann die Spannung nicht über weite Teile aufrechterhalten und sie verliert sich immer wieder. Lesevergnügen geht anders. Danke dir für dein entgegengebrachtes Vertrauen.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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  4. So, jetzt komme ich endlich dazu, in Ruhe meinen Kommentar zu schreiben :).

    Ich mochte "Girl on the Train", auch wenn einiges zwischendurch recht anstregend war. Was mich dieses Mal aber schon etwas abschreckt, ist die Anzahl der Erzähler. Acht verschiedene Personen sind schon recht viel und ich tue mich da oft schwer, mir zu merken, wer was erzählt. Wie ist es dir da beim Lesen ergangen?

    Liebe Grüße
    Ascari

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    1. Liebe Ascari,

      die Schwierigkeit bei Into the Water ist zum einen, dass es viele Erzähler gibt und diese so unspezifisch Gedanken freien Lauf lassen, dass man nur mit guter Konzentration wahrnehmen und spekulieren kann, was die Autorin erzählen möchte. Dafür ist Durchhaltevermögen eine Voraussetzung und wenn dann noch Längen hinzu kommen, wird's einfach ungemütlich.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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    2. Klingt jetzt ganz so, als ob ich es im Zweifelsfall doch eher lesen sollte, oder? Schwanke nämlich auch zwischen Buch und Hörbuch hin und her ...

      Liebe Grüße
      Ascari

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    3. Liebe Ascari,

      wenn ich dir die Entscheidung abnehmen könnte, würde ich es gern tun. Letztendlich musst du das für dich abwägen. Ein Buch kostet viel wertvolle Zeit mehr, insofern würde ich tatsächlich das Hörbuch empfehlen. Dann hast du für andere Bücher mehr Lesezeit :-).

      Liebe Grüße

      Nisnis

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    4. Ich glaube, im Moment werde ich mich erst mal auf andere Bücher konzentrieren und warten, bis das Buch in der Bib zum Leihen erhältlich sein wird :). Die Hörprobe fand ich mit den drei Sprechern zwar durchaus interessant, aber ich bin derzeit eher der Häppchen-Hörer. Also fürchte ich, dass ich einiges aus dem Buch wieder vergessen habe, bis es interessant wird ... Trotzdem danke für deine Meinung dazu :).

      Liebe Grüße
      Ascari

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    5. Sehr gern, liebe Ascari :-)

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  5. Hallo Nisni

    So verschieden sind Geschmäcker. Beide Bücher der Autorin haben mir sehr gut gefallen. Into the Water habe ich in einer Nacht fast fertig gelesen. Ich freue mich schon auf das nächste Buch der Autorin.

    Liebe Grüße,
    Gisela

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    1. Liebe Gisela,

      ja, diese unterschiedlichen Lese-Empfindungen machen uns aus. Es ist immer sehr interessant, wie unterschiedlich wir diese Geschichten empfinden.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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  6. Schade, das du nicht so zufrieden warst, kann dich da voll verstehen denn genau das sind die Punkte, die mich auch immer stören. Schön das ich deine Rezi noch gefunden habe, das Buch war nämlich schjon auf meiner Merkliste aber zum Glück noch nicht bestellt. Ganz liebe Grüße <3

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    1. Liebe Anja,

      die Geschmäcker sind ja glücklicherweise verschieden, aber wenn ich dich bei deiner Entscheidung zum Buch unterstützen konnte, dann freut mich das sehr.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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  7. Ich habe "Into the Water" noch nicht selbst gelesen, gehe aber auch eher mit gemäßigter Erwartungshaltung an das Buch heran. Ich fand "Girl on the Train" zwar damals sehr gut, aber auch ein bisschen zu sehr gehypt – so wahnsinnig originell/packend/überraschend war es dann für mich auch nicht.

    Außerdem bin ich im Moment dieser Beziehungs-/Familien-Psychothriller à la "Gone Girl" oder eben "Girl on the Train" auch ein bisschen überdrüssig, mich treibt in diesem Fall eigentlich hauptsächlich die Neugier zum Buch – der Klappentext selbst reizt mich nicht unbedingt übermäßig und deine Rezension scheint meine Erwartungen auch ein bisschen zu bestätigen ;D

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    1. Lieber Sebastian,

      deine Müdigkeit an Beziehungs-/Familien-Psychothriller à la "Gone Girl" oder eben "Girl on the Train" kann ich absolut nachempfinden und ich bin diesen aufs Äußerste gehypten Marketing-Strategien mit diesen Büchern sehr überdrüssig.

      Deine Vorsicht und gemäßigte Erwartungshaltung finde ich sehr gesund ;-). Bevor du zugreifst, empfehle ich dir noch ein Paar Rezensionen.

      Vielen lieben Dank für deinen Besuch und Kommentar,

      Nisnis

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