Schmerzliche Erinnerung
Spannend wie ein Krimi und eine Geschichte
so anmutig wie ein poetisches Gedicht
Hamburg: Die Nachkriegszeit in Hamburg schreibt das Jahr 1947. Die junge Mutter Agnes Dietz muss sich und ihre beiden Kinder, Hanno und die kleine, stotternde Wiebke, allein durchbringen. Agnes klopft Steine und Hanno sucht in den Trümmern nach Brennholz, Metallen und nach allem, für das er auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel eintauschen kann.
Eines Tages entdeckt Hanno
in einem zugeschütteten Keller eine nackte Tote. Verwirrt und geschockt erzählt zunächst niemandem von seinem schrecklichen Fund. Als Hanno wieder auf seine Schwester
Wiebke stößt, die den Bollerwagen bewacht, steht ein kleiner Junge von drei bis
vier Jahren neben ihr. Der Junge scheint allein. Er ist stumm. Und so nehmen
die Kinder das kleine Findelkind mit nach Hause.
Viele Jahrzehnte später stößt das einstige Findelkind
Joost auf die Spur eines Verbrechens, welches fatal und unmittelbar mit seiner familiären
Herkunft verknüpft ist.
Zeitgleich kämpft die junge Lehrerin Anna gegen eine
essenzielle Angst an, die scheinbar völlig unbegründet Panikattacken auslöst. Anna
ist sich bald sicher, dass diese Angst nicht die ihre ist.
Anna kümmert sich um ihre alte, alkoholkranke Mutter, die
außer Vorhaltungen, Verachtung und Garstigkeit nichts für ihre Tochter
erübrigen kann. Unheilvoll tun sich vor Anna immer wieder Fragen auf, die ihre
familiäre Vergangenheit betreffen, doch die vor Zorn selbstgerechte und in
Selbstmitleid versinkende Mutter schweigt über ihre Lebenslüge.
Mechtild Borrmann, Jahrgang 1960, verbrachte ihre
Kindheit und Jugend am Niederrhein. Bevor sie sich dem Schreiben von
Kriminalromanen widmete, war sie u.a. als Tanz- und Theaterpädagogin und
Gastronomin tätig. Mit „Wer das Schweigen bricht“ schrieb sie einen Bestseller,
der mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde und wochenlang auf der
KrimiZeit-Bestenliste zu finden war. Für den "Geiger" wurde Mechtild
Borrmann als erste deutsche Autorin mit dem renommierten französischen
Publikumspreis "Grand Prix des Lectrices" der Zeitschrift Elle
ausgezeichnet. 2015 wurde sie mit "Die andere Hälfte der Hoffnung" für
den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Mechtild Borrmann lebt als freie
Schriftstellerin in Bielefeld.
In ihrem neuen Roman "Trümmerkind" beschreibt
die mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Bestseller-Autorin Mechtild
Borrmann das Leben eines Findelkinds im vom Krieg zerstörten Hamburg von 1946 /
1947. Spannung und historisches Zeitgeschehen miteinander zu verknüpfen,
versteht Borrmann, die auch für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis
nominiert war, wie keine andere deutsche Autorin. Dies stellt sie mit ihren
Bestsellern "Wer das Schweigen bricht", "Der Geiger" und
"Die andere Hälfte der Hoffnung" und ihrem neuen Roman
"Trümmerkind" eindrucksvoll unter Beweis. (Quelle: Droemer Knaur
Verlag)
Mechtild Borrmann hat mit Trümmerkind einen spannenden
und berührenden Roman geschrieben, der das Leben in den Nachkriegsjahren
1947/1948 widerspiegelt. Die Zuordnung des Romans unter dem Genre Krimi wird
Trümmerkind trotz der Trümmermorde nicht ganz gerecht, denn es erfolgen weder polizeiliche
Ermittlungen, noch wird der Täter letztendlich zur Rechenschaft vor dem Gesetz
gezogen. Trümmerkind ist ein hoch spannender und historischer Roman, der noch
lange nachklingen wird, denn die Geschichte strotzt vor trauriger, geschichtlicher Authentizität
und könnte genauso wie erzählt stattgefunden haben.
Mechtild Borrmann gelingt es meisterhaft, die
Nachkriegszeit wirkungsvoll und nachhaltig zu erzählen. Es wird deutlich, wie
sehr die Frauen damals auf sich allein gestellt waren und um das Überleben der
Familie kämpfen mussten, immer in Begleitung einer unheilvollen Angst und in einer für uns heute unfassbaren Sorge. Die Figur der Agnes spiegelt all diese Last
wieder, sodass man nur respektvoll den Mut und die Stärke dieser seelisch gezeichneten
Frauen bewundern kann, die in der eisigen Kälte der bitteren Winter kaum mal satt
wurden. In dieser Situation nimmt Agnes das Findelkind auf und umsorgt es als
sei es ihr eigenes Kind. Sie nimmt sehr vieles auf sich, um das Leben des
kleinen Joosts zu schützen und hält sogar abscheuliche üble Nachreden aus ohne
sich zu wehren. Während dieser Zeit geschehen mehrere Morde in den Trümmern
Hamburgs, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzten.
Die Geschichte wird um zwei weitere Handlungsstränge
ergänzt, die zeitlich in den Jahren 1992/93 und 1945/46 spielen.
1945/46 flieht Familie Anquist mit bekannten Nachbarn
vor dem Einmarsch der Roten Armee aus der Uckermark. Sie gehen eine beschwerliche
Reise ein, die sie am Ende nach Hamburg in eine Katastrophe führt.
1992/93 geht die junge Lehrerin Anna den Geheimnissen der
alkoholkranken Mutter nach, die sie in die Uckermark führen. Dabei stößt sie
auf die dramatische Familiengeschichte der Anquists.
Zunächst bleibt der Leser sehr lange im Unklaren, wie die
Handlungsstränge zusammenhängen könnten. Komplex und von atmosphärischer Dichte
und düsterer Stimmung begleitet liest man durch die geschichtsträchtigen
Zeiten, die genauestens recherchiert ein harmonisches Gesamtpaket zeichnen und
erst am Ende intelligent erzählt auflösen. Das Ende lässt den Leser dann
schließlich den Atem anhalten, denn die Verschmelzung der Perspektiven
offenbart ein unglaubliches Verbrechen.
Die Spannung reist in diesem Roman kaum ab. Es durstete
mich wirklich, schnell aber sehr bewusst durch die Seiten zu lesen. Die Figuren
und ihre interessant und wohlgeformten Charaktere beeinflussten die Lesegeschwindigkeit,
um Voranzukommen und um endlich zu verstehen.
Dieser Roman ist sicher nicht mein letzter von dieser
Autorin, denn Mechtild Borrmann schreibt in einem äußerst ansprechenden und
flüssigen Stil. Schnörkellos und der damaligen Zeiten gerecht, schreibt sie
anmutig, manchmal poetisch und mit besonderer Klarheit. Durch diesen Stil
versinkt man so sehr in dieser emotional berührenden Geschichte, als sei man
mittendrin im Geschehen und im Leben der beeindruckenden Figuren.
Als der Junge bei Wiebke stand, da ... Ich habe nicht weit entfernt in einem Keller eine tote Frau gefunden und ... ich habe den anderen Knopf in dem Keller gefunden. Agnes schnappte nach Luft. Du hast ... Hanno fiel ihr ins Wort. "Sie war erfroren, da war nichts zu machen. Ich bin sofort weg und dann ... Der Kleine stand bei Wiebke an der Strasse. Ich wusste doch nicht, dass der zu der Toten gehört. Dass die Frau nackt gewesen war, sagte er nicht. Damit hätte er die Mutter nur unnötig geängstigt.
***
Und dann spürte Anna sie wieder. Diese undurchdringliche Kindereinsamkeit. Das endlose Schweigen am Küchentisch, wenn sie die falsche Frage gestellt hat. Der bittere Beigeschmack von süßen Marmeladenbroten, wenn die Mutter den Brotteller mit diesem Schwung aus Enttäuschung und Zorn über den Tisch schiebt. Nein, von der Mutter wird sie nichts erfahren.
***
Für einen Moment ist es da. Dieses alte Kindergefühl. Dieses Gefühl, schuld am Unglück der Mutter zu sein und mit jeder Frage neues Unglück über sie zu bringen. Aber es gibt kein Zurück. Seit gestern steht dieses blindgestrichene Fenster der Vergangenheit einen Spaltbreit offen, und weder Anna noch ihre Mutter werden es wieder schließen können.
***
Als der Junge bei Wiebke stand, da ... Ich habe nicht weit entfernt in einem Keller eine tote Frau gefunden und ... ich habe den anderen Knopf in dem Keller gefunden. Agnes schnappte nach Luft. Du hast ... Hanno fiel ihr ins Wort. "Sie war erfroren, da war nichts zu machen. Ich bin sofort weg und dann ... Der Kleine stand bei Wiebke an der Strasse. Ich wusste doch nicht, dass der zu der Toten gehört. Dass die Frau nackt gewesen war, sagte er nicht. Damit hätte er die Mutter nur unnötig geängstigt.
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Und dann spürte Anna sie wieder. Diese undurchdringliche Kindereinsamkeit. Das endlose Schweigen am Küchentisch, wenn sie die falsche Frage gestellt hat. Der bittere Beigeschmack von süßen Marmeladenbroten, wenn die Mutter den Brotteller mit diesem Schwung aus Enttäuschung und Zorn über den Tisch schiebt. Nein, von der Mutter wird sie nichts erfahren.
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Für einen Moment ist es da. Dieses alte Kindergefühl. Dieses Gefühl, schuld am Unglück der Mutter zu sein und mit jeder Frage neues Unglück über sie zu bringen. Aber es gibt kein Zurück. Seit gestern steht dieses blindgestrichene Fenster der Vergangenheit einen Spaltbreit offen, und weder Anna noch ihre Mutter werden es wieder schließen können.
***
Trümmerkind ist ein faszinierender Roman, der der
Nachkriegszeit durch die Zeichnung der Geschichte und durch die authentischen Handlungen
der Figuren gerecht wird. Trümmerkind ist so hoch spannend wie ein
Kriminalroman und so berührend wie ein anmutiges Gedicht. Dieser Roman wird
noch lange in mir nachklingen.
Leseempfehlung.
Titel: Trümmerkind
Autor: Mechtild Borrmann
Erscheinungsdatum Erstausgabe: 02.11.2016
Aktuelle Ausgabe: 02.11.2016
Verlag: Droemer
ISBN: 9783426281376
Fester Einband 320 Seiten
Sprache: Deutsch
Eine wunderschöne Rezension zu einem wundervollen Buch, liebe Anja! Ich freu mich das auch dich diese Geschichte so begeistert hat :)
AntwortenLöschenLiebe Anja,
Löschenund dir einen lieben Dank, dass du mich noch mal mit der Nase auf diesen Roman gestupst hast.
Viele Grüße
Nisnis
Hey :)
AntwortenLöschenIch glaube, ich habe es eh schon mal geschrieben, aber dieses Buch möchte ich irgendwann auch mal lesen. Seit Cay Rademachers "Trümmermörder" faszinieren mich Bücher, die in dieser Zeit spielen, egal ob es sich dabei um einen Krimi handelt oder nicht ...
Liebe Grüße
Ascari
Liebe Ascari,
Löschenob dieses oder jenes Genre war mir auch unwichtig. Mir ging es um die geschichtsträchtige Zeit, von der ich erneut lesen wollte.
Cay Rademachers Trümmermörder muss ich mir mal näher ansehen. Danke für den Tipp.
Liebe Grüße
Nisnis
Was für eine tolle Rezi! Wenn das Buch nicht schon längst auf meiner Wunschliste stehen würde, hätte deine tolle Rezi jetzt dafür gesorgt.
AntwortenLöschenLG Tanja
Liebe Tanja,
Löschenes wird dir sehr gefallen und du wirst sehr von ihm berührt sein.
Viele liebe Grüße
Nisnis
Ich mochte das Buch auch sehr und finde, dass du das Buch sehr gut beschrieben hast.
AntwortenLöschenIch glaube aber, die Familie heißt nicht Almquist. Anquist?
Liebe Grüße
Mona
Liebe Mona,
Löschenoh ja, du hast recht. Ich habe die Die Familie wohl unbewusst umgetauft ;-). Schnell korrigiert ist jetzt alles wieder korrekt. Dank für den Hinweis.
Liebe Grüße
Nisnis
Eine sehr schöne und ausführliche Rezi! Ich find es wichtig diese schwierige Zeit im Gedächtnis zu verankern... Kriege gibt es genug,,,
AntwortenLöschenLiebe Angela,
Löschenda stimme ich dir absolut zu. Diese Zeit darf niemals vergessen werden und es ist unsere Pflicht, sie unseren Kindern zu erläutern, so gut wir eben können.
Ich freue mich, dass dir meine Rezension gefallen hat.
Liebe Grüße
Nisnis
Ich schließe mich meinen VorschreiberInnen an; das ist wirklich eine schöne Rezension! Ich habe noch nichts von der Autorin gelesen, sie steht aber auf meiner Liste der Autorinnen, die ich gerne noch lesen möchte.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Julia
Liebe Julia,
Löschendieses Buch ist wirklich so lesenswert. Ich bin mir sicher, es würde dich ebenso begeistern.
Lieber Grüße
Nisnis
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschendanke für die ausführliche Vorstellung, das Buch steht schon länger auf meiner Wunschliste (dank der Empfehlung von Philly von Wortgestalt ;-) ) und rutscht jetzt mal wieder etwas nach oben.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
Thomas
Vielen Dank, lieber Thomas, gern geschehen und ich freue mich schon darauf zu erfahren, wie dir dieser Roman gefällt.
LöschenLiebe Grüße
Nisnis
Deine Rezi ist toll und das Buch wäre absolut was für mich! Habe schon davon gehört aber es nie genauer angeschaut. Habe es auf meine WuLi geschoben.
AntwortenLöschenGlG monerl
Liebe Monerl,
Löschenes ist toll, wenn dich die Rezension inspirieren konnte.
Liebste Grüße
Nisnis
Hallo,
AntwortenLöschenDie Rezension hat mir auch sehr gut gefallen und insgesamt hast du auch einen sehr schönen Blog!
Ich dachte zuerst ich würde das Buch kennen, war aber anscheinend nur ein ähnlicher Titel. Zur Zeit lese ich eher in einer anderen Richtung.
Freut mich das dir das Buch so gefallen hat.
LG Sonja
Liebe Sonja,
Löschenich danke dir für die lieben virtuellen Blümchen. Sie motivieren mich sehr. Die Thematik 2. Weltkrieg begleitet mich auch nur ab und an, aber wenn, dann sauge ich alle historisch- und geschichtsträchtigen Dinge in mich auf.
Sei lieb gegrüßt,
Nisnis