Unsere Perle, unser Iran
Intensives Debüt über Revolution und der Suche nach Identität
Iran, 1979: Der Schah ist vertrieben und Hoffnung breitet sich in Iran aus. Der junge kommunistische Revolutionär Beshad engagiert sich für eine neue Ordnung, plant gefährliche, politische Aktionen mit einer kommunistischen Gruppierung, deren Anführer er ist. Bevor es in Iran für ihn brenzlig wird, lernt er die Literatur Studentin Nahid kennen, die Liebe seines Lebens.
Als die
Mullahs die Macht übernehmen, wird es für die junge Familie gefährlich und sie
müssen mit ihren zwei kleinen Kindern, ohne jeden Abschied fliehen. Ihr Weg
führt sie nach Deutschland.
Zwischen Hoffen und Bangen, warten sie auf Neuigkeiten
von ihren Freunden, die untertauchen mussten und sie hoffen weiter, auf eine
politisch ruhigere Lage, denn eines Tages möchten sie aus ihrem Exil zurück.
Viele Jahre später besucht Nahid mit ihrer Tochter Laleh
die iranische Heimat. Während Nahid aufblüht, sieht sich Laleh mit einer Welt
konfrontiert, die nichts mehr mit ihren Kindheitserinnerungen gemein hat. Als
Teenager fällt es ihr sichtlich schwer, sich dem Leben dort anzupassen
Beshads und Nahids Sohn Mo widmet sich allem lieber, als an
den von seinen Studienkollegen veranstalteten Pseudodemonstrationen
teilzunehmen, während sich der arabische Frühling langsam entwickelt. Er kann sich, aufgewachsen in Deutschland, nur
schwer mit all den politischen Dingen identifizieren, doch sein
gesellschaftliches Umfeld erwartet es von ihm. Erst als sich die Grüne Revolution abzeichnet, dreht sich
Mos Welt plötzlich außer Takt und seine Welt gerät ins Wanken.
Egal was in unseren Schulbüchern steht, wir wollen das Gegenteil davon. Wir lasen Es lebe der Schah und dachten, Tod dem Schah. Wir hörten Alle Arbeit gebührt dem König und sagten, Die Arbeit gehört den Arbeitern. Und wenn dort steht Er führt uns zu Wohlstand, dann spucken wir auf seine Paläste, auf die Engländer, auf die Amerikaner, und schmuggeln die Bücher, kopieren sie, lernen sie auswendig, geben sie von Hand zu Hand zu Hand. Wir haben geschwiegen und auf den Straßen geschrien, haben unsere Eltern verflucht und sind für unsere Kinder gestorben. Der Schah ist gegangen, weil er krank war, die Statuten sind gefallen, weil das Volk nicht daran glaubte. Die Revolution wird jede Woche älter, und wir lieben dieses Land, mehr noch als zuvor. (Zitat)
Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte
Literarisches Schreiben in Hildesheim, bevor sie nach Berlin zog, um ein
Doppelleben zu führen. Halbtags ist sie Bildungsreferentin für junge Menschen,
die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in Brandenburg machen, die verbleibende
Zeit verbringt sie als Autorin. Neben Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in
Zeitschriften und Anthologien war sie Stipendiatin des Klagenfurter
Literaturkurses 2012 und Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.
(Quelle: Kiepenheuer & Witsch)
Nachts ist es leise
in Teheran ist die Geschichte einer iranischen Familie, die nach der Revolution
im Jahr 1979, nach dem das Land von einer geistlichen Führung regiert wird,
nach Deutschland emigrieren muss.
Shida Bazyar erzählt eindrucksvoll, wie mutig Beshad und
seine kommunistische Bewegung gegen eine geistliche Staatsform kämpfen. Wie sie
selbstlos jeder Gefahr entgegentreten, bis es für die junge Familie zu gefährlich
wird, entdeckt und verhaftet zu werden. Mitreißend und intensiv erzählt, nah am
politischen Geschehen, bekommt der Leser eine Ahnung, wie dramatisch und
gefährlich diese Widerstandskämpfe geführt wurden. Die Aktionen der Gruppierung,
von denen Shida Bazyar sehr anschaulich erzählt, lesen sich so spannend wie ein
Kriminalroman, wohl wissend, dass diese Bewegungen in Wahrheit stattgefunden
haben.
Küsse und Süßigkeiten auf den Straßen, und man merkte gar nicht den Übergang von eben noch still nebeneinander zu Hause und plötzlich Teil der Menge, Teil der tosenden, grölenden Menge, Teil der Bewegung, Teil des Kampfes, und wir schleuderten unsere Fäuste gen Himmel.(Zitat)
Vollends entwurzelt und große Steine aus dem Weg räumend,
meistern Beshad und Nahid ihren Alltag, um zu immigrieren, nach dem klar wird,
dass der Aufenthalt in Deutschland nicht mit einem vorübergehenden Exil
gleichzusetzten ist. Der Weg dorthin ist eindrucksvoll geschildert, ohne die Integration
überschwänglich und aktuell trendmäßig zu thematisieren, was ich sehr positiv
empfand.
Wir haben die Barhocker aus den Fensterscheiben geworfen, die gefliesten Wände glänzten, trotz unserer Zerstörungswut. Hier saßen mal Menschen und waren glücklich, dachte ich, wie hat sich das wohl angefühlt, hier drin glücklich zu sein? Wie fühlt es sich das an, wenn man ignoriert, dass unser Land sein Öl verschenkt, damit ein einziger Mann in Luxus schwelgen kann, wenn man ignoriert, dass die Gefängnisse voll sind von Menschen, die mal deine Nachbarn waren. (Zitat)
Unglaubwürdig und enttäuschend hingegen fand ich es, dass
Shida Bazyar den islamischen Glauben kaum benannt hat. Von einem Roman, der das
Leben von Iranern beleuchtet und es veranschaulicht, erwarte ich viel von traditioneller,
islamischer Kultur und auch von religiösen Konflikten zu lesen. Doch außer kaum
erwähnenswerten islamischen Riten im Alltag der Teheraner, kann ich kaum von
derartigem lesen und erfahren. Aus meiner Sicht verliert dieser Roman dadurch sogar
ein Stück weit Authentizität.
Am Anfang passte alles, was ich hier tat, in dieses Wort, passte jede formschöne und geschmacklose Pfirsichfrucht unter die Glocke des Wortes, hörte ich mich jedes deutsche Wort sagen, als wäre es eingefroren, um aufzutauen, in späteren Zeiten. Wir haben es schon lange nicht mehr benutzt, dieses Wort, stattdessen sagen wir nun öfter Aufenthaltsgenehmigung und Anwalt und Schulamt und Revisionsverfahren.(Zitat)
Trotzdem gelingt es der Autorin in einer fesselnden, atmosphärischen
Dichte zu schreiben, wenn man bereit ist, sich auf den anfänglich unrhythmisch
wirkenden Schreibstil einzulassen. Literarisch anspruchsvoll zwar, sogar
anmutig bis poetisch, aber dennoch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige
Mainstream-Leser damit eine wohlige Leseatmosphäre genießen können.
Nachts ist es leise in Teheran. Tagsüber so laut die Menschen im Haus, so laut ihr Sprechen, wenn es um Unwichtiges, so laut ihr Zögern, wenn es um wichtiges geht. So laut ihr Lachen, ihre Zurufe, so laut ihre Höflichkeitssätze, die sie auswerfen, als wäre es ihr Atem. So laut ihre Präsenz als stoffumhüllte Körper in einem geschützten Raum, so laut das Klappern von Geschirr, beim Kochen, beim Essen, beim Teetrinken, immerzu klappert es silbrig und trocken aneinander. Draußen die Straßen, ein schrecklicher Lärm, die überfüllten Fahrbahnen, das Hupen, trotz der Hupen-verboten-Schilder, das Brüllen und Fluchen der Menschen, die schwere Luft, die den Lärm im Kopf zu verursachen scheint, die Abgase, die man einatmet, das ständige Gefühl, etwas Schweres zu sein und etwas Schweres zu tragen. Die Hände, die immerzu das Kopftuch fassen, die immerzu den Mantel festhalten, die Ärmel runterziehen. Sie sehen schön aus in ihren Kleidern, sie halten sich modern. Ich fühle mich unförmig, ein Gefühl, das vor ein paar Jahren noch Gewohnheit war und das ich, seit die achte Klasse vorbei ist, eigentlich schon vergessen hatte.(Zitat)
Mit vier individuellen Erzählperspektiven, 1979 Behsad,
1989 Nahid, 1999 Tochter Laleh und 2009 Sohn Morad, greift Shida Bazyar die unterschiedlichen
Wahrnehmungen der Figuren auf. Sie schildert ihre Empfindungen und ihre
jeweiligen, kritischen Auseinandersetzungen mit ihrer Herkunft eindringlich,
vielschichtig und häufig hoch emotional. Die Figur gebundenen Perspektiven spiegeln
auch wider, wie sich die Herkunft, die Kultur und die politische Wertigkeit sowie
die Suche nach Identität von Generation zu Generation natürlich verändern. Und
doch durchzieht der rote Faden Hoffnung jede Perspektive, dieses literarisch
anspruchsvollen und komplexen Werks, die nie aufhört zu klingen.
Nachts ist es leise
in Teheran ist zwar literarisch anspruchsvoll, sogar anmutig bis poetisch, aber
auch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige Mainstream-Leser damit eine
wohlige Leseatmosphäre genießen können.
Dieses Debüt ist die Geschichte einer iranischen Familie,
die die Revolution mit vorantreibt, die gezwungen wird aus ihrer Heimat zu
fliehen, die in Deutschland ein Exil findet, die sich anstrengt zu immigrieren
und die stetig auf der Suche ist, ihre Identität zu finden.
Autor: Shida Bazyar
Rezensionen zu Nachts ist es leise in Teheran von Shia Bazyar:
Literatur-Blogs:
Lesen macht glücklich
Kapri - ziös
aus.gelesen
Rezensionen zu Nachts ist es leise in Teheran von Shia Bazyar:
Literatur-Blogs:
Lesen macht glücklich
Kapri - ziös
aus.gelesen
Erscheinungsdatum Erstausgabe: 18.02.2016
Aktuelle Ausgabe: 18.02.2016
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 9783462048919
Fester Einband 288 Seiten
Sprache: Deutsch
Über dieses Buch habe ich soviel Gutes gehört und gelesen, dass ich gerade nicht verstehe, warum ich es immer noch nicht gelesen habe. Deine Zitate zeigen mir auch die Schönheit der verwendeten Sprache.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Silvia
Liebe Silvia,
Löschendieser Roman ist etwas ganz besonderes. Zwischendurch muss ich es so anspruchsvoll haben und ich liebe diesen Ausgleich.
Herzliche Grüße
Nisnis
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschenvon dem Buch habe ich bisher noch nichts gehört, aber es ist sofort auf die "muss ich mir merken"-Liste gewandert. Danke, dass du uns dieses Buch vorstellst. Es scheint wahrlich eine wunderbare Lektüre zu sein.
Hab ein wundervolles Wochenende
LG
Yvonne
Liebe Yvonne,
Löschendas freut mich sehr. Es würde dich sicherlich begeistern, auf seine so besondere Weise.
Ich wünsche dir ebenfalls ein zauberhaftes Wochenende.
Liebe Grüße
Nisnis
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschendanke für die tolle Besprechung. Das Buch steht schon ganz lange auf der Wunschliste. Einige Blogger hatten ja im letzten Jahr gehofft, dass der Titel es auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis schafft. Hat zwar nicht geklappt, möchte ich aber unbedingt bald lesen. Werde aber wohl noch auf die Taschenbuchausgabe warten.
Liebe Grüße und schönes Wochenende ;-)
Thomas
Lieber Thomas,
Löschenes ist schon ein sehr besonderes Werk, aber dennoch fehlt auch etwas elementares für mich darin. Die Werte des islamischen Glaubens, hätten intensiver dargestellt werden müssen.
Liebe Grüße
Nisnis
Von dem Buch hatte ich noch nichts gehört. Vielen Dank für die schöne Rezi, die mir wohl eine besondere Geschichte näher gebracht hat. Das Buch werde ich mir mal merken!
AntwortenLöschenLG Tanja
Liebe Tanja,
Löschendiese Geschichte gewährt einen außergewöhnlichen Einblick. Sie ist auch sprachlich etwas sehr besonderes.
Liebe Grüße
Nisnis
Das könnte mir auch gefallen, allerdings muss man wahrscheinlich sehr viel Ruhe haben, mal eben zwischendurch geht sicher nicht.
AntwortenLöschenJa, liebe Manuela. Dieses Buch erfordert etwas Stille.
LöschenLiebste Grüße
Nisnis
Das Buch klingt wirklich wunderschön, aber wie du weißt schaue ich zu solchen Thematiken eher Filme/Dokus.
AntwortenLöschenAber sehr schön auch ein Buch zu besprechen, was nicht so bekannt ist!
Liebe Grüße
Janna
Liebe Janna,
LöschenDokumentationen zu dieser Thematik sind ebenso mein Ding, doch manchmal sprechen Bücher noch einmal mehr eine intensivere Sprache, was ich dann sehr genieße.
Liebe Grüße
Nisnis
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschendas Buch klingt wirklich sehr interessant. Das Thema finde ich interessant und auch für eine poetische Schreibweise bin ich immer zu haben. Mal schauen, ob ich das über die Bibliothek ausleihen kann. Neugierig bin ich auf jeden Fall :)
LG
Julia
Liebe Julia,
Löschenda der Roman bereits vor gut einem Jahr erschienen ist, hast du sicherlich gute Chancen es in der Bücherei anzutreffen.
Liebe Grüße
Nisnis
Liebe Nisnis,
AntwortenLöschendas hört sich ganz nach einem Buch an, das mir gefallen könnte.
War die Familie denn religiös? Also weil Du schreibst, Du hast es vermisst. Es gibt ja auch muslimische Familien, die nicht religiös sind.
Danke auch für die Zitate. Die sind wirklich gut ausgefählt.
Liebe Grüße
Lilly
Liebe Lilly,
Löschensie sind durchaus religiös und leben danach. Doch hinsichtlich der Konflikte im Iran, hätten für mich einfach auch religiöse Konflikte mehr benannt werden können.
Ich freue mich, dass dir die Zitate gefallen und dich der Roman durchaus interessiert.
Liebste Grüße
Nisnis
Liebe Nisnis,
Löschenja, das kann ich nachvollziehen. Ich musste nur gleich an "Couchsurfing im Iran" denken. Ich geb zu, dass ist ganz anders, aber da kam Religion auch sehr wenig drin vor. (Weil die, die einen zum Couchsurfing aufnehmen, natürlich auch liberaler und westlicher orientiert sind.) Kennst Du das Buch? Mir hat es ziemlich gut gefallen.
Liebe Grüße
Lilly