Thriller - ... und morgen werde ich dich vermissen

26 Juni 2017

Verloren, in einem Augenblick 

Ein überzeugendes, atmosphärisch dichtes und spannendes Thriller-Debüt

Thorkild Aske, suspendierter Verhörspezialist der Polizei, wird aus dem Gefängnis entlassen. Seelisch am Abgrund, geplagt von Schuldgefühlen und unter starken Schmerzen leidend, erwartet ihn außer einer unendlichen Leere lediglich ein Resozialisierungsprogramm des Arbeitsamtes.

Nach einem Gespräch mit seinem Freund und Psychologen Ulf, überredetet ihn dieser nach dem vermissten Rasmus Moritzen zu suchen, der hoch im Norden Norwegens auf einer kleinen Leuchtturminsel ein Erlebnishotel baut. Unter Ulfs Androhung, Thorkild die morphinhaltigen Medikamente zu verwehren, die der so dringend benötigt und hinsichtlich einer nicht beglichenen Schuld gegenüber der Familie Moritzen, reist Thorkild schließlich ans tobende Meer Nord Norwegens, um Rasmus zu suchen.
Herbstlich stürmisch wütet das Meer, als Thorkild auf der Schäreninsel ankommt. Labil erschöpft und im medikamentösen Delirium entdeckt er eine Frauenleiche ohne Gesicht und kurz darauf sieht er einen Taucher, der die Frau zurück ins Meer zieht. Die von Thorkild zur Hilfe gerufen Lensmänner (ländliche Polizisten), kommen nie auf der Leuchtturminsel an.

Selbstzweifelnd, ob er tatsächlich eine Frauenleiche gesehen hat, ist er dennoch der Letzte, der zu den verschwundenen Polizisten Kontakt hatte. Für die hinzugerufene Tromsøer Polizei, wird er zum wichtigen Zeugen und bald steht er unter Verdacht.

Thorkilds Ermittlerinstinkt kehrt zurück.


Heine Bakkeid, Jahrgang 1974, ist in Norwegen ein renommierter Jugendbuchautor. «... und morgen werde ich dich vermissen» ist sein erster Kriminalroman und Auftakt der Reihe, die in 11 Ländern erscheint. Bakkeid beherrscht die Kunst des filmischen Erzählens, die raue, maritime norwegische Landschaft ist die perfekte Kulisse dafür.


... und morgen werde ich dich vermissen ist ein Thriller mit einer atemraubenden und intensiven Atmosphäre, von dem man nur schwer loskommt.

Diesen Thriller liest man nicht nur, sondern man hört auch das Rauschen und das Toben des wilden Meeres. Man hört wie Gischt spritzt, wie Wellen brechen und wie Luftblasen aus den Lungenautomaten von Tauchern blubbern.

Heine Bakkeid schreibt in einer bebilderten, aber klaren und flüssigen Sprache, die wie ein perspektivisch gemalter Hintergrund, in jedem seiner Sätze eine klangvolle Satzmelodie komponiert.

Atmosphärisch dicht und psychologisch intelligent aufgebaut, entwickelt sich bereits kurz nach dem angenehmen Einstieg in die Geschichte ein Sog, der den Leser für sich einnimmt. Dieser Sog ist nicht stetig mit Tempo gleichzusetzen, es gibt auch hier und da Längen, die jedoch in Einklang mit der Handlung und Stimmung auf ihre Weise wirken.

Die Grundstimmung liegt zunächst diffus, nicht greifbar, im Nebel. Sie ist ein Schleier aus mentaler und medikamentöser Verwirrtheit, Angst oder Verzweiflung der Figur Thorkilds. Ab und zu schwappt sie über ins parapsychologische, als Thorkild auf die Frau eines Muschelfarmers trifft, die als Medium übernatürliche Kräfte besitzt und mit ihm eine Séance mit schwerwiegenden Folgen abhält.

Zunächst ist nicht klar, was die Handlung bereithält. Es scheint, als sei das mentale Wrack Thorkilds in einem Nebel aus Medikamenten gefangen, in dem er sich letztendlich verliert. Seine subtile bis bizarre Gedankenwelt ist nicht sofort zu durchschauen und man erwartet fast, dass dieser Thriller ausschließlich auf psychologischer Ebene weiterspielt. Als dann Thorkilds Ermittlerinstinkt geweckt wird und der Polizist in ihm erwacht, spielt Heine Bakkeid mit diesen beiden Perspektiven und er ergänzt sie noch um weitere. Erleichtert darüber, dass die psychologische Ebene nicht allein agiert, liefert der Autor einen spannenden und informativen Rückblick, der den Leser darauf schließen lässt, was in Thorkilds Leben schiefgelaufen ist und was in dem Keller des Gefängnisses geschah.

Thorkild, der perfekte Sündenbock, kämpft mit sich und seinem Umfeld. Medikamentenabhängig und psychisch am Ende seiner Kräfte, kämpft er sich als Einzelgänger durch diese Geschichte. Als er von der Polizei verhört wird und sein ehemaliger Chef auftaucht, der noch eine Rechnung mit ihm offen hat, wird es verbal und körperlich gewalttätig, so dass einiges an Blut fließt. Grundsätzlich fließt in diesem Thriller nicht viel Blut, aber es gibt einige unschöne Szenen, die einem zart Besaiteten Leser den Magen umdrehen könnten.

Im Verhör und in zahlreichen Gesprächen beweist sich Thorkild als redegewandter Gesprächspartner und auch Gegner. Neben den nebeligen Gedanken der Figur, sind es authentische und knackige Dialoge, die die Handlung anpfeffern und erfrischen.

Gut inszeniert ist die rückblickende Beziehung von Frei und Thorkild, die durch ein Kennenlernspiel ein kurzes aber feuriges Intermezzo liefert, bevor es emotional zum Worst Case Szenario kommt.

Heine Bakkeid ist es durch die intensive Zeichnung des Charakters Thorkild gelungen, ein überzeugendes Debüt zu schreiben. Auf der einen Seite taucht er außergewöhnlich tief ein in die Psyche dieser schwer labilen Figur ein und auf der anderen Seite kreiert er mit ihr einen spannenden Ermittler-Thriller, der den Leser sehnsüchtig auf einen nachfolgenden Thriller warten lässt.

Gegen Ende, als Thorkild als Ermittler im Vordergrund steht, löst Bakkeid vollkommen auf, doch auf der letzten Seite hinterlässt er einen Cliffhanger, der noch lange nachknistert.


... und morgen werde ich dich vermissen ist ein atmosphärisch dichter, psychologisch intelligent aufgebauter Ermittler-Thriller. Er ist spannend, präsentiert eine herausstechende Figur und er ist in einer bebilderten Sprache geschrieben, die wie ein perspektivisch gemalter Hintergrund jedem Satz eine klangvolle Satzmelodie zukommen lässt.

Leseempfehlung.


©nisnis-buecherliebe

Weiter Rezensione:

Tintenhain Blog 



Autor: Heine Bakkeid

Erscheinungsdatum Erstausgabe: 23.06.2017

Aktuelle Ausgabe: 23.06.2017

Verlag: ROWOHLT Taschenbuch


Flexibler Einband 416 Seiten

Sprache: Deutsch




17 Kommentare:

  1. Liebe Anja,

    und wieder stöhnt meine Wunschliste auf :-)
    Nach dieser tollen Rezi ist ja klar das sie wieder um ein Buch länger wird.

    LG Tanja

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    1. Liebe Tanja,

      diesen Thriller musst du unbedingt bald von deiner Wunschliste befreien. Es wird dir sicher gefallen.

      Viele liebe Grüße

      Anja

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  2. Das klingt doch wirklich nach einem Buch, das ich lesen möchte. Ich mag schwierige Ermittler! Im Moment langweile ich mich im Fantasy Genre wieder mal und suche nach "Auswegen" in meinem ursprünglichen Lieblingsgenre. Mal sehen...Kennst du "Kommando Abstellgleis"? Gruß Verena

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    1. Liebe Verena,

      Thorkild ist nicht unbedingt ein schwieriger Ermittler, aber seine Empfindungen, seine Psyche ist schwierig und er sucht auf seine Weise nach Antworten.

      Nein, Kommando Abstellgleis kenne ich nicht, aber ich werde es mir mal anschauen.

      Dann hoffe ich nun, dass du dich bald nicht mehr langweilst, denn so macht es kaum Spaß zu lesen ;-).

      Viele liebe Grüße

      Nisnis

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  3. Hallo liebe Anja,

    wow, was für eine gelungene Rezension, dabei kann ich richtig gut nachempfinden, was du beim Lesen gespürt hast.

    Das Buch klingt extrem gut und kommt ganz weit oben auf meine Wuli.

    Liebe Grüße
    Silke

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    1. Liebe Silke,

      ich freue mich, dass du meine Begeisterung für dieses Buch nachempfinden kannst und es freut mich, dass du es längst auf deiner Wunschliste stehen hast. Dann freue ich mich bald auf deine Besprechung.

      Liebe Grüße

      Anja

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  4. Guten Morgen!

    Da sieht man mal wieder, wie unterschiedlich man als Leser die Bücher auffassen kann: ich fands leider ehrlich gesagt ziemlich langweilig. Der Schreibstil konnte mich überhaupt nicht fesseln und von der Atmosphäre hab ich nix gemerkt.
    Mir wurden viel zu viele unwichtige Details bis ins Kleinste gezeigt und erklärt und die Handlung hat sich auf wenige Momente beschränkt, die nicht wirklich was vorwärts gebracht haben ...

    Aber es freut mich, dass es dir wenigstens gefallen hat :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Liebe Aleshanee,

      wie schade, dass dich dieser Titel nicht in seinen Bann ziehen konnte, aber manchmal passt es einfach nicht. Ich stimme dir durchaus zu, die Handlung wird nicht mit hohem Tempo und Inhalten vorangetrieben, sondern eher durch die Atmosphäre die die Hauptfigur umgibt.

      Es ist gut, dass wir alle so unterschiedlich empfinden und ich mag es total gern, dies wahrzunehmen.

      Sei herzallerliebst gegrüßt,

      Nisnis

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  5. Ich bin gerade mittendrin und es kann mich fesseln.

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    1. Wunderbar, dann wünsche ich dir noch eine weiterhin fassende, schöne Lesezeit.

      Liebe Grüße

      Nisnis

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  6. Liebe Anja,
    Nachdem du mich ja auf Instagram schon so neugierig gemacht hast, musste ich natürlich auch gleich noch hier vorbeischauen und deine Rezension lesen. Und mit deiner differenzierten Darstellung hast du mich noch neugieriger gemacht. Hut ab übrigens, einen Thriller so ausführlich und differenziert zu beschreiben ohne zu viel von der Handlung vorwegzunehmen oder zu spoilern. Das gelingt nicht jedem und gerade bei Thrillern habe ich daher manchmal etwas "Angst", zu lange Rezensionen zu lesen. Aber deine bewertet das Buch, ohne das Lesevergnügen durch Spoiler zu beeinträchtigen. Danke dafür. :)
    Ein bisschen skeptisch bin ich ob der "übernatürlichen" Aspekte. Séancen und so etwas, das ist ja eigentlich gar nicht mein Fall. Aber ich mag die skandinavischen Thriller eigentlich immer ganz gerne und dieser hier klingt ansonsten wirklich vielversprechend. Der wird wohl bald in mein Regal wandern. :)
    Liebe Grüße, Julia

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    1. Liebe Julia,

      das Übersichtliche nimmt wirklich nur einen kleinen Teil der Geschichte ein, das muss bei deiner Entscheidung für das Buch nicht ins Gewicht fallen.

      Dankeschön, für deine lieben, wertschätzenden Worte. Spoilern kommt niemals für mich in Frage, denn ich selbst möchte auch nicht gesponsert werden.

      Viele liebe Grüße

      Anja

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    2. Oh gut, dann sind meine Bedenken deswegen wohl unnötig. Dann freu ich mich jetzt auf den spannenden Thriller. :)

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  7. Die liebe Manuela von Lesenswertes aus dem Bücherhaus hat mir das Buch weiterempfohlen und ich bin schon gespannt, wie es mir gefällt. Deine Rezi klingt vielversprechend. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es polarisiert, die Meinungen gehen doch recht auseinander. Ich habe ja meistens so meine Probleme mit skandinavischen Thrillern und Krimis und bin entsprechend skeptisch :-) Viele Grüße Kerstin

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    1. Liebe Kerstin,

      mich hat dieses Buch doch recht gefesselt, allerdings liegen mir die Skanivaier sowieso. Ich hoffe sehr, dass du ebenfalls deine Freude damit haben wirst.

      Viele liebe Grüße

      Anja

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  8. Hey :D Ich habe das Buch heute auch rezensiert und finde wie du, dass das Buch ein vielversprechender Auftakt ist. Wie du fand ich auch die Rückblenden zu Frei großartig. Es braucht gar nicht vieler Worte, damit der Leser die Faszination Thorkilds für die junge Frau versteht. Er ist ein wirklich toller Charakter, wie du auch gut herausgearbeitet hast! Ich habe daher deine Rezension unter meiner verlinkt. Falls dir das nicht gefällt, sag nur Bescheid, dann entferne ich den Link wieder.

    Liebe Grüße,
    Julia

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    1. Liebe Julia,

      vielen Dank für die Verlinkung. Natürlich freue ich mich darüber. Ich finde es immer sehr nett, wenn man seinen Lesern mehrere Rezensionen vorstellen kann und mache solche Verlinkungen grundsätzlich.

      Viele liebe Grüße

      Nisnis

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