Roman - Der Junge auf dem Berg von John Boyne

26 September 2017

Verlust der Menschlichkeit

Eindrucksvoll, bedrückend und 
auf die heutige Zeit übertragbar 

Kurz vor dem 2. Weltkrieg lebt der kleine Pierrot mit seinen Eltern in Paris. Seine Kindheit ist unbeschwert, bis er seinen Vater an den dunklen Wolken der Kriegserinnerungen verliert und seine Mutter plötzlich stirbt. 

Pierrot muss seinen Hund und seinen einzigen Freund Anshem, ein Judenkind, zurücklassen, als er in ein Waisenhaus kommt. Aber sie schwören sich, nie den Kontakt abzubrechen. Pierrots Zeit im Waisenhaus ist überschaubar, denn die Schwester seines Vaters holt ihn zu sich. Zu sich auf den Berg, wo sie in der Sommerresidenz Adolf Hitlers lebt und arbeitet. 

Von da an verändert sich Pierrots Leben. Es beginnt damit, dass er von nun an nicht mehr Pierrot, sondern Peter heißt, seine Herkunft und seinen jüdischen Freund verleugnen muss. Während Peter heranwächst beeinflusst der charismatische Führer Peters Entwicklung und Lebenseinstellung drastisch, bis er treuergeben einen unverzeihlichen und tödlichen Verrat begeht.


John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von sechzehn Romanen, darunter ›Der Junge im gestreiften Pyjama‹, der sich weltweit sechs Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.


Pierrot ist klein und unscheinbar und er ist stets der Letzte, den andere Kinder in ihre Gruppe wählen. Man hänselt ihn, man bedroht ihn und Pierrot wünscht sich eines Tages so viel Macht und Kraft zu besitzen, dass er sich wehren kann. Er leidet sehr, dass sein geliebter Vater tot ist. Er bewundert ihn, hält ihn für einen Kriegshelden und eines Tages, will er ihn stolz machen.

Als der kleine Pierrot auf dem Berg ankommt, verändert sich sein Leben rasant.
Strenge Regeln beherrschen von nun an sein Leben. Er ist zutiefst betrübt, dass er seinen jüdischen Freund verleugnen muss und er versteht nicht, warum er von nun an Peter heißen muss. 

Im Laufe der Zeit saugt Pierrot alles in sich auf, was um ihn herum geschieht. Er bewundert den Führer, wie der Macht ausübt, wie alle strammstehen, wenn er etwas sagt und er bewundert die Männer in Uniform, die mit ihren Gewehren patrouillieren

Als er vom Führer eine Uniform der Hitlerjugend geschenkt bekommt, wandelt sich auch sein Gemüt langsam und er selbst setzt sich das Ziel, eines Tages ebenso machtvoll zu sein. 

In den alltäglichen Handlungen des Jungen schildert John Boyne die Entwicklung des Jungen unter dem Einfluss Adolf Hitlers glaubwürdig. Zunächst ist er ein kleiner, hilfloser Junge, der als Kind erste Erfahrungen mit dem Antisemitismus macht, die er jedoch noch nicht einordnen kann. Als er dann erste Machtspiele entwickelt verzeiht man ihm noch, doch umso älter Peter wird, umso deutlicher wird es, dass er die charismatischen Eigenschaften des Führers übernimmt und die Welt des Nationalsozialismus eintaucht. 

Es ist erschreckend authentisch, wie John Boyne die vom Führer gezielt angewandte Beeinflussung und Manipulation auf den Jungen überträgt. Und es ist unfassbar, wie weit sie den Charakter des zunächst äußerst labilen Jungen prägen, der immer mehr seine Menschlichkeit verliert. Der kleine Pierrot weckt Mitleid, während der Heranwachsende auch die Emotionen des Lesers in abstoßend wandelt.

John Boynes Schreibstil ist flüssig und angenehm kurzweilig zu lesen. Es blitzen kleine literarische Perlen im Ausdruck auf, aber dieses Buch ist nicht mit dem hochemotionalen Werk der Junge im gestreiften Pyjama gleichzusetzten. Ein wenig verschenkt Boyne in diesem Roman auch schriftstellerisches Potenzial. Aber ich finde es auch nicht recht, den Jungen auf dem Berg mit der Junge im gestreiften Pyjama gleichzusetzten, denn dieses hier ist inhaltlich von menschlicher Kälte geprägt, während das erstere emotional tief berührt.

Für mich persönlich war dieses Buch durchaus ein Pageturner, da ich der Begegnung Pierrots mit Hitler fiebernd entgegen las. Die Spannungskurve entwickelte sich in gemäßigtem Tempo nach oben, aber dennoch knisterte die Spannung auf jeder gelesenen Seite.

Die Geschichte ist historisch alt und dennoch ließe sie sich auf die heutige Zeit übertragen, wenn man beispielsweise an die Manipulation und Beeinflussung von Jugendlichen durch propagandistische Salafisten denkt. Und deshalb wäre es eine gute Idee, diese wertvolle Geschichte Jugendlichen der höheren Klassen in der Schule an die Hand zu geben und mit ihnen darüber zu diskutieren. 


John Boye schreibt eindrucksvoll über die jugendliche Verführbarkeit, die Manipulation und über eine Charakterentwicklung bis hin zum Verlust der Menschlichkeit. Authentisch und glaubwürdig erlebt man in diesem Buch mit, wie der charismatische Einfluss Hitlers das Leben Pierrots beeinflusst und fast zerstört.

Die Geschichte ist historisch alt und dennoch ließe sie sich auf die heutige Zeit übertragen, wenn man beispielsweise an die Manipulation und Beeinflussung von Jugendlichen durch propagandistische Salafisten denkt. Und deshalb wäre es eine gute Idee, diese wertvolle Geschichte Jugendlichen der höheren Klassen in der Schule an die Hand zu geben und mit ihnen darüber zu diskutieren. 

Leseempfehlung.

4 Sterne

©nisnis-buecherliebe

Weitere Rezensionen von Bloggern:






Autor: John Boye

Erscheinungsdatum Erstausgabe: 24.08.2017

Aktuelle Ausgabe: 24.08.2017

Verlag: FISCHER KJB


Fester Einband 304 Seiten

Sprache: Deutsch

23 Kommentare:

  1. Hallo Anja,
    aaaaahhhh, du hast es auch gelesen :o) Und ich sehe, es hat dir auch genauso gut gefallen wie mir. Es war mein erstes Buch von John Boyne und mit Sicherheit auch nicht mein letztes. Ich finde der Autor hat die sich schleichend einstellende Veränderung und die Art, wie Pierrot durch sein Umfeld geprägt wurde, einfach grandios geschildert.
    Ganz liebe Grüße
    Tanja

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Tanja,

      da muss ich doch glatt noch mal zum Rezi lesen bei dir vorbeikommen.

      Der Junge im gestreiften Pyjama steht hoffentlich schon auf deiner Wunschliste,. Diesen Roman lege ich dir gern and Herz.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  2. Anonym26.9.17

    Hallo liebe Anja,
    freut mich riesig, dass dir das Buch gefallen hat. Ich finde kaum einen Autor, der eine Geschichte entwickeln kann, die derart viel Moral in sich trägt, ohne den moralischen Zeigefinger heben zu müssen. Sondern diese Moral so wunderbar in die Handlung einfügt, dass es einem beim Lesen gar nicht auffällt.
    Sollte Pflichtlektüre in der Schule sein, finde ich.
    Toll, dass du dieses Buch gelesen und vor allem rezensiert hast. Ich hoffe, es macht eine große Runde durch das Internet. Liebe Grüße, Iris

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Iris,

      ich mag es sehr Bücher zu lesen, die nicht nur während des Lesens begeistern, sondern auch noch danach lange nachklingen. Wenn einem bewusst wird, was der Autor in seiner Geschichte beschreibt und man die dann noch in die Realität übertragen kann.

      Viele liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  3. Hey :)

    Ich habe das Buch ja gerade angefangen - und es lässt sich auch auf Englisch ganz hervorragend lesen. Es entwickelt trotz der einfachen, fast distanziert wirkenden Sprache eine gewisse Sogwirkung.

    Ich bin jetzt kurz vor der Hälfte (und hab gestern viel zu lang gelesen *gääääähn*) und das grausame, beängstigende Element hat bis jetzt mehr durch die Ritzen geblinzelt. Als Erwachsener weiß man natürlich, was Boyne da beschreibt, man fühlt aber auch mit dem Jungen mit, der nicht versteht, warum dieses und jenes passiert.

    Daher bin ich jetzt auf die zweite Hälfte umso mehr gespannt, wenn die Veränderungen einsetzen werden, die du in der Rezi beschrieben hast.

    Für mich ist es übrigens das erste Buch von Boyne, von "Der Junge im gestreiften Pyjama" hab ich nur den Film gesehen.

    Liebe Grüße
    Ascari

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Ascari,

      bis die Veränderungen eintreten, hätte etwas schneller in die Geschichte kommen können und ich wünschte, Boyne hätte noch mehr Seiten gefüllt. Du hast recht, als erwachsener Leser können wir bereits ahnen worauf es hinausläuft, deshalb finde ich das Buch für Jugendliche wertvoll, wenn sie es mit Erwachsenen besprechen könnten.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  4. Liebe Anja,

    lieben Dank für deine tolle Rezi, mit der du mich sehr neugierig gemacht hast. Allerdings zögere ich noch ein wenig, da mich 'Der Junge im gestreiften Pyjama' nicht wirklich überzeugen konnte. Die Story find ich schon sehr interessant! Ich werde das Buch mal im Auge behalten.

    Liebe Grüße
    Tanja

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Tanja,

      Der Junge auf dem Berg kann nicht mit dem Buch der Junge im gestreiften Pyjama verglichen werden. Inhaltlich ist es etwas ganz anderes.

      Dennoch bin ich überrascht, dass dich der junge im gestreiften Pyjama nicht abholen konnte. Du bist die erste, von der ich so eine Empfindung lese.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  5. Liebe Anja,

    das Buch klingt sehr interessant. Ich habe "Der Junge im gestreiften Pyjama" gelesen, welches mich sehr beeindruckt hat. Wieder ein Buch mehr auf meiner Wunschliste :-)

    Liebe Grüße
    Kerstin

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Kerstin,

      ja, da gehört das Buch definitiv hin. Ich bin mir sicher, dass es dich beeindrucken wird.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  6. Anonym28.9.17

    Hallo liebe Anja,

    ich lese solche Bücher eigentlich kaum, aber deine Rezensionen sind immer so gut geschrieben, dass ich sie mir jedesmal wieder gerne durchlese, so auch dieses mal.

    Ich denke, die Geschichte ist tatsächlich sehr gut, ob ich sie allerdings je lesen werde, weiß ich nicht, weil ich davor einfach noch so viele andere Bücher aus anderen Genres lesen möchte. Und ja, eigentlich mache ich auch einen Bogen um Geschichten, die sich um den 2. Weltkrieg drehen.

    Mich erinnert dieses Thema von der Beeinflussung an "Die Welle", die wir in der Schule durchgenommen haben. Damals hat es mich wirklich sehr erschüttert, wie leicht sich doch sehr viele (in "Die Welle" ja sogar die meisten) Leute beeinflussen lassen. Durch diese Geschichten wird dann auch klar, wie Hitler damals nicht nur an die Macht kommen konnte, sondern auch so viele Menschen auf seine Seite brachte. Ich finde auch, dass solche Geschichten auf jeden Fall in die Schule gehören, um die jungen Menschen zu sensibilisieren.

    Vielen Dank für deine wunderbare Rezension!

    Liebe Grüße
    Tessa

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Tessa,

      ich besuche ebenso gern Blogs und lese dort Rezensionen, auch wenn sie nicht unbedingt meinem Lieblingsgenre entsprechen, aber manchmal, dann entdecke ich dort auch mal eine Buchperle für mich und so hoffe ich, dass ich dich bald einmal verleiten kann ;-).

      Das Thema 2. Weltkrieg ist nicht jedermanns Sache und oft ist es ja auch eine harte literarische Kost. Ich muss auch in einer bestimmten Stimmung sein, um für diese Bücher offen und bereit zu sein.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  7. Liebe Anja,

    ich habe schon viel Gutes von dem Buch gehört und Deine Rezension ist sehr gut geschrieben.

    Da zieht sich einem direkt das Herz zusammen, wenn man sich vorstellt, wie der offene, aber sehr verletzt Junge zu Hitler kommt und ich kann es mir total gut vorstellen, wie er von seiner Zuneigung der vielleicht väterlichen Figur und Hitlers Macht angetan und beeindruckt ist.

    Man muss sich ja nur die Wahlen ansehen, da sieht man, wie leicht sich Menschen von populistischen Sprüchen einfangen lassen.

    Ich werde es sicher lesen, wenn die Bücherei es bekommt.

    Lieben Dank für Deine tolle Rezi!
    Deine Lilly ♥

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Lilly,

      das erschreckende bei dem Buch ist, dass Hitler dem Jungen noch nicht einmal offensichtliche Zuneigung schenkt. Und genau so läuft es heute ja auch in den nationalsozialistischen oder rechtsradikalen Szenen ab.

      Dieses Buch geht zur Diskussion in die Schulen.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  8. Hallo liebe Anja,

    ein Buch, um das ich schon eine Weile herumschleiche. Deine Rezension bestätigt mir wieder, dass ich dieses Buch doch lesen sollte. Ich habe schon eine Gänsehaut, wenn ich lese, wie authentisch die Manipulationen beschrieben werden. Wenn man das dann mit dem aktuellen Zeitgeschehen vergleicht, wird es mir durchaus anders.

    Liebe Grüße
    Silke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Silke,

      nicht jeder Leser versucht die damaligen Geschehnisse und die Manipulation in die heutige Zeit zu interpretieren, aber ich tu das gedanklich immer irgendwie automatisch. Und wenn du das tust, dann erschreckt dich dieses Buch sehr und du möchtest, dass es viele Schüler lesen, nicht aber ohne der Möglichkeit zur Diskussion.

      Ich bin gespannt, ob du dich bei deiner langen Wunschliste, für diesen Roman entscheiden wirst.

      Liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  9. Hallo Anja <3 Diese Rezi musste ich mir natürlich auch durchlesen und ich bin beeindruckt. Das Buch wird nun auch von mir gelesen, so eine Geschichte kann ich mir nicht entgehen lassen. Ganz liebe Grüße <3

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Anja,

      dann bin ich sehr auf deine Besprechung gespannt.

      Viele liebe Grüße

      Anja

      Löschen
  10. Liebe Anja,
    Das Buch steht auch schon auf meiner Wunschliste. Ich habe "Der Junge im gestreiften Pyjama" damals wirklich geliebt. Es hat mich berührt und es hat mich noch lange beschäftigt, nachdem ich es beendet hatte.
    Auf den neuen Roman bin ich da natürlich auch schon sehr gespannt, aber ich habe auch ein bisschen Angst, dass es meine zugegeben hohen Erwartungen nicht erfüllen kann. Aber diese Angst nimmst du mir mit deiner Rezension ein bisschen, da dich das Buch ja anscheinend sehr überzeugen konnte. Ich finde es auch toll, wie du das Thema in die heutige Zeit überträgst. Das bietet sicherlich viel Stoff zum Nachdenken.
    Ich freue mich auf jeden Fall schon sehr auf die Lektüre.
    Liebe Grüße, Julia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Julia,

      die hohen Erwartungen die du hast kann ich nachvollziehen, denn ich hatte sie ebenfalls. Sie werden vom Stil her oder auch von den Emotionen her nicht ganz dem Berührungsempfinden gerecht, die man hat, wenn man der Junge im gestreiften Pyjama gelesen hat. Aber man kann die Bücher thematisch auch überhaupt nicht vergleichen.

      Ich hoffe sehr, dass dir dieses Buch gefällt.

      Viele liebe Grüße

      Anja

      Löschen
    2. Danke für deine Einschätzung. Ich bin sehr gespannt, wie ich es empfinden werde. :)

      Löschen
  11. Liebe Anja

    Was für eine tolle Rezension. Das klingt wirklich nach einem wunderbaren Buch, das sich definitiv lohnt.

    Lieben Dank für diesen Tipp und herzliche Grüsse
    Livia

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Livia,

      Dankeschön für deine lieben Worte. Ich finde dieses Buch vor allem sehr wichtig. John Boyne zwar auch etwas schriftstellerisches Potenzial verschenkt, aber es ist ein interessantes Werk.

      Viele liebe Grüße

      Anja

      Löschen

Mit dem Abschicken des Kommentars bestätige ich, dass ich die Datenschutzbestimmungen gelesen und akzeptiert habe.