Thriller - Neanderthal von Jens Lubbadeh

27 Januar 2018

Gesellschaftskritische Zukunftsvision 

Vielschichtig, spannend und informativ

Deutschland in der Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft, Gesundheit ist das höchste Ideal. Eine Welt, in der sich Kommissar Philipp Nix nur schwer zurecht findet. Als er eines Tages auf eine seltsam aussehende Leiche stößt, führt ihn das zu einem grausigen Massengrab in einem Tal bei Düsseldorf. 

Sind es Neandertaler? Aber warum sind die Überreste nur dreißig Jahre alt? Nix' Ermittlungen enthüllen einen Skandal, der die Gesellschaft der Zukunft in ihren Grundfesten erschüttert …


Jens Lubbadeh ist freier Journalist und hat bereits für Die Zeit, NZZ, Bild der Wissenschaft, Technology Review, Spiegel Online und viele weitere Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert Quandt Medien-Preis ausgezeichnet. Der Science-Thriller »Unsterblich«, sein Romandebüt, hat auf Anhieb Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Jens Lubbadeh lebt in Hamburg. (Quelle: Heyne Verlag)


Die Inhaltsangabe zu Neanderthal von Jens Lubbadeh verspricht einen rasanten Thriller, doch Neanderthal ist weder rasant, noch ein waschechter Thrill. Ist man als Leser flexibel und lässt die unglückliche Mainstream-Genre-Kategorisierung außer Acht, darf man einen spannenden und interessanten Roman erwarten, wenn man sich für Gentechnologie, Anthropologie, Urmenschen und eine visionäre Zukunftsphilosophie interessiert, die durch kriminelle Machenschaften beeinflusst und vorangetrieben wird.

Jens Lubbadeh ist es gelungen, eine komplexe Handlung zu kreieren, die intelligent Authentizität und Dystopie vermischt. Vor allem aber zeichnet er eine Zukunftsidee, die im Jahr 2053 von der Regierung und dem Ministerium für Glück und Gesundheit gesteuert wird und so abwegig gar nicht erscheint.

Gen-Architekten sind gefragt wie nie und bieten perfekt optimiertes Editing am ungeboren Kind an. Nimm zwei Edits und erhalte eines umsonst, optimiere deine Fitness, unterziehe dich Schönheits-OPs, erhalte so Bonus-Punkte und zahle niedrigere Krankenkassenbeiträge.

Das einzige was zählt und richtig ist, ist die perfekte Gesundheit. Gendefekte sind weitestgehend ausgemerzt und doch kämpft diese Gesellschaft mit „der großen Depression“. Das Ausmaß dieser Gesundheits-Optimierung verstößt jeden Menschen, der körperliche Andersartigkeit aufweist. Ob asymmetrisches Gesicht, körperliche- oder seelische Behinderung, in diesem Roman wird die Andersartigkeit zum Feind. Immer wieder weist die Geschichte unsympathische Parallelen auf, die an die Arisierung und an die grauenvollen Lager der Deutschen Geschichte erinnern. Der Verzicht darauf, wäre eine kluge Entscheidung gewesen. Zum Teil wirkt die Geschichte überstrapaziert, doch sie fasziniert zu gleich.

Eine der Hauptfiguren ist einer der Andersartigen. Wissenschaftler Max ist gehörlos und kommuniziert mit seiner Umwelt durch die Gebärdensprache. Diese Figur ist äußerst intensiv gezeichnet und sie spiegelt einen Charakter wieder, der die Ausgrenzung und Diskriminierung als behinderter Mensch nicht akzeptieren will und dagegen ankämpft.

Nicht jede Figur genießt in diesem Roman eine Charakterzeichnung mit Tiefe, doch Jens Lubbadeh hat zahlreichen Figuren eine lebendige und interessante Legende zugeschrieben. Insgesamt liegt der Fokus nicht auf den einzelnen Figuren, sondern eher auf dem kompakten Gesamtkonstrukt der fiktiven Geschichte. Überwältigende Spannung und Tempo ist nicht sonderlich präsent und vereinzelt kommt es gar zu Längen, doch die Grundstimmung stimmt, so dass man neugierig der Geschichte folgen will, die in einer angenehm, flüssigen Sprache geschrieben ist.

Dieser Roman ist thematisch äußerst vielschichtig und informativ. Er hat sicher zeitintensive Recherchen eingefordert, die stimmig und fundiert glaubwürdig in die Handlung einfließen. Die Kultur der Amische, das Leben eines Gehörlosen, Gentechnologie, internationale wissenschaftliche Erkenntnisse, Medizinisches, politische Strukturen, historische Geschichte, Kriminalität sowie aktuelles Zeitgeschehen sind intelligent in der Handlung verwoben.

Eine Perspektive, die vereinzelt die Kapitel der Story durchbricht, erzählt die Geschichte von einem Stamm der Neandertaler. Ich muss leider gestehen, dass ich diese irgendwann überblättert habe, da sie mir uninteressant erschien und ich zu neugierig auf den Fortgang des Haupterzählstrangs war, der von Gesellschaftskritik nur so trotzt.


Die Inhaltsangabe zu Neanderthal von Jens Lubbadeh verspricht einen rasanten Thriller, doch Neanderthal ist weder rasant, noch ein waschechter Thrill. Ist man als Leser flexibel und lässt die unglückliche Mainstream-Genre-Kategorisierung außer Acht, darf man einen spannenden und interessanten Roman erwarten, wenn man sich für Gentechnologie, Anthropologie, Urmenschen und eine visionäre Zukunftsphilosophie interessiert, die durch kriminelle Machenschaften beeinflusst und vorangetrieben wird.

Trotz meiner kritischen Anmerkungen war ich spannend unterhalten und würde jederzeit wieder etwas von Jens Lubbadeh lesen.


©nisnis-buecherliebe

Weitere Rezensionen:



Titel: Neandethal


Erscheinungsdatum Erstausgabe: 13.11.2017

Aktuelle Ausgabe: 13.11.2017

Verlag: Heyne


Flexibler Einband 528 Seiten


Sprache: Deutsch

14 Kommentare:

  1. Leider gibt es nur diese grobe Genre-Einteilung, denn ich finde auch, dass Thriller nicht wirklich passt. Dafür fehlt es an Tempo und Action - aber ein passenderer Begriff ist mir auch nicht wirklich eingefallen.
    Fesselnd fand ich das Buch trotzdem und ich schließe mich Deiner positiven Bilanz absolut an.

    LG Gabi

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    1. Liebe Gabi,

      es freut mich schon sehr, dass wir wieder einmal ähnlich empfinden und dass du von Neanderthal gefesselt warst. Freue mich auf deine Besprechung, die ich dann sehr gern hier verlinke.

      Liebe Grüße

      Anja

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  2. Liebe Anja,

    trotz deiner Kritikpunkte glaube ich das auch mir das Buch gefallen könnte. Die angesprochenen Themen finde ich sehr interessant. Das Buch kommt natürlich auch wieder auf meine Wunschliste. Dank dir wird sie bald kilometerlang sein ;-)

    Liebe Grüße
    Tanja

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    1. Liebe Tanja,

      ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Titel etwas für dich. Schließlich weiß ich inzwischen, in welcher Richtung du gern liest ;-).

      Liebe Grüße

      Anja

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  3. Liebe Anja,

    Das Buch interessiert mich schon seit längerem, allerdings hatte ich bisher tatsächlich sehr geteilte Meinungen gelesen.

    Deine Rezension schafft es allerdings, hier die "passenden" Erwartungen an das Buch zu richten und ich glaube, ich werde es mir doch noch bei Gelegenheit zulegen.

    Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!

    Liebe Grüße

    Silke

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    1. Liebe Silke,

      es gibt tatsächlich differenzierte Meinungen zum Buch. Du weißt, dass ich Thriller liebe, es gern rasant mag und all das hatte dieses Buch nicht. Trotzdem hat es Lubbadeh geschafft mich sehr interessiert lesen zu lassen und ich kann mir schon vorstellen, dass es dir spannendende und interessante Stunden bescheren würde.

      Liebe Grüße

      Anja

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  4. DEu hast mich auf jeden Fall neugierig auf die Geschichte gemacht und gut das du erwähnst das es nicht mit einem typischen Thriller vergelichbar ist - ich verstehe oft die Genrezuteilung der Verlage nicht. So sind doch gerne mal Enttäuschungen dabei, da ich mir bereits bei Krimi und Thriller unterschiedliche Verläufe vorstelle. Dann erst recht zwischen Thriller und Roman oder Sci-Fi ...

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    1. Liebe Janna,

      ich bin überzeugt, dass die Genre-Kategorisierung hier ausschließlich eine Marketing-Strategie ist, was sehr schade ist, denn es gibt ja wohl kaum etwas schlimmeres, als Leser, wenn man etwas erwartet, was sich dann nicht erfüllt.

      Viele Grüße

      Anja

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  5. Hallo Nisni,

    es klingt so gut und sieht so cool aus.
    Deine Rezension hat mich noch neugieriger gemacht als ich es eh schon war.
    Liebe Grüße
    Kathrin

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    1. Liebe Kathrin,

      das ist fein. Dann würde mich deine Buchbesprechung sehr interessieren.

      Liebe Grüße

      Anja

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  6. Hey Anja,

    Deine Rezension hat ich auf jeden Fall neugierig gemacht. Klassische Thriller sind eher nicht so meins. Für mich ist es genau das richtige, wenn es auch mal etwas wissenschaftlicher zugeht.

    LG, Moni

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    1. Liebe Moni,

      ich mag es auch sehr gern, wenn ich etwas mehr erhalte, als eine gute Story. Da interessante Drumherum, kann mich genau so faszinieren, wie eine wirklich gute Story.

      Es freut mich, dass ich dich neugierig machen durfte.

      Liebe Grüße

      Anja

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  7. Da will man nur ein bissl stöbern und dann wandert gleich das erste Buch auf die WL. Ich finde solch wissenschaftlichen Dystophie-"Thriller" sowohl beklemmend, als auch spannend, da diese eventuellen Möglichkeiten meiner Meinung nach schon Thrill genug sind und oft gar keine Krimihandlung benötigen.
    Danke für die tolle Rezi.
    Liebe Grüße
    Conny

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    1. Hey liebe Conny,

      verzeih, mir ist dein Kommentar durchgegangen und ich habe ihn soeben erst entdeckt. Schande über mich!

      Das hast du treffend formuliert und Jens Lubbadeh wird dich sicher überzeugen. Ich kann es kaum abwarten, eine neue Story des Autors zu lesen.

      Viele liebe Grüße

      Anja

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