Diagnostik für bibliophile Emotionalitäten und Lesegewohnheiten
Liebe Leser,
wie umschreibt ihr eure Gefühlswelt, wenn ihr unter
schwersten akuten- oder bereits chronischen Symptomen bibliophiler Sorgen leidet?
Werdet ihr von den Menschen in eurem Umfeld verstanden,
wenn ihr voller Sehnsucht einer Neuerscheinung mit hohem Fieber entgegenfiebert,
wenn ihr depressiv werdet, weil eure Lieblings-Buchreihe zu Ende geht oder wenn
ihr euren literarischen Maßstab ab sofort so hoch ansetzt, dass ihr mit eurem
üblichen Lesevergnügen nur in die Tiefe hinabstürzen könnt?
Wie viele eurer Worte sind notwendig, um euren ernsten
Zustand zu beschreiben, den ein "Nichtbibliophiler" bedauerlicherweise nie ganz
nachvollziehen kann?
Ab sofort sind die ersten Diagnosen festgeschrieben, mit
denen ihr euch zukünftig erklären könnt. Bedauerlicherweise ist die
diagnostische Befundung jedoch auch heute noch schwierig und der rezidive Therapieverlauf
wird weiterhin kurvenreich und schwankend sein, denn eine Heilung kann
letztendlich nicht erreicht werden.
Ich freue mich sehr, dass ich euch mit freundlicher
Genehmigung der lieben Online-Redakteurin Maren Kahl von Was liest Du?, folgend ihr kleines, liebevoll verfasstes Wörterbuch der bibliophilen Sorgen vorstellen darf.
Viel Spaß damit!
Eure Nisnis
Postlegere-Tristesse
Symptomatik:
„Buchende“
Das Gefühl, das nach dem Beenden eines guten Buches
eintritt. Eine belastende Mischung aus einem unbeschreiblichen Hochgefühl,
hervorgerufen durch eine nahezu euphorische Begeisterung für das zuvor
Gelesene, und einer tiefen Traurigkeit, weil man sich von liebgewonnenen
Menschen trennen und aus der fast heimisch gewordenen Atmosphäre der Fiktion
heraustreten muss, um zurück in die Realität zu finden, die mit einem Mal so
fremd und trist erscheint.
Arithmetische Elegie
Symptomatik:
„Betrachtung der Wunschliste und
Komplikationen beim SuB-Abbau“
Die bestürzende Gewissheit, die eintritt, wenn man
ausrechnet, wie viel Zeit es in Anspruch nehmen würde, alle Bücher auf der
Wunschliste tatsächlich zu lesen, und man feststellen muss, dass die Lebenszeit
schon jetzt nicht mehr ausreicht. Ein belastendes Gefühl, das häufig beim
Betrachten von Bücherregalen eintritt und mit einem beklemmenden Druck auf der
Brust vergleichbar ist.
Nervöse Expectritis
Symptomatik:
„Neuerscheinungen“
Die nervöse Anspannung, während man auf die
Veröffentlichung eines Folgebands wartet. Eine Mischung aus Vorfreude auf die
neue Lektüre, ungeduldiger Erregtheit und einem Hauch Ärger über die
Fremdbestimmtheit, der man ausgeliefert ist. Man hat keinen Einfluss auf den
Erscheinungstermin, sondern ist ganz und gar von der Disziplin, Kreativität und
Vitalität des Autors abhängig. Und immer ist ein Hauch Sorge dabei, eine leise
Angst, dass es durch unvorhersehbare Umstände nie zu einem neuen Band kommen
könnte.
Legere interruptus
Sympthomatik:
„Störung des Leseflusses“
Der kurze Moment der Überforderung, wenn man gerade noch
in aller Ruhe gelesen hat und gänzlich in der Geschichte versunken ist, dann
aber ohne Vorankündigung unterbrochen und gewaltsam aus der Fiktion
herausgerissen wird. Das Gefühl, das schier Unmögliche schaffen zu müssen: sich
ohne Vorbereitung wieder in der Realität zurechtzufinden, sich auf die störende
Quelle einzulassen, präsent zu sein.
Platonische Befürchtung
Symptomatik:
„literarisch hochtrabender Leseanspruch“
Eine leichte Panik, die einen beschleicht, wenn man ein
überragendes Buch zu Ende gelesen hat. Während des Lesens sind die Erwartungen
unmerklich gestiegen. Ein Gefühl, als hätte man endlich Platons unterirdische
Höhle verlassen und könnte nun die wahre Literatur sehen, nicht mehr nur deren
schemenhaften Schatten. Man sorgt sich darum, dass sich niemals wieder eine
Lektüre mit diesem einen Buch messen kann. Es ist, als hätte es schon jetzt
alles, was man jemals gelesen hat oder noch lesen wird, in den Schatten
gestellt.
Finale Rührseligkeit
Symptomatik:
„Absturz bei Buchreihen-Ende“
Die feierliche Rührung, von der man überrumpelt wird,
wenn man den letzten Band einer Reihe in den Händen hält. Als müsse man den Akt
des Buchöffnens gebührend zelebrieren, die Beschaffenheit des Papiers ertasten,
jedes einzelne Wort laut aussprechen, es empfinden, sich einer frühzeitigen
Nostalgie hingeben, die diesem Anlass angemessen ist. Und gleichzeitig spürt
man eine tiefe Traurigkeit, weil man weiß, dass die Geschichte mit diesem Buch
ihr Ende findet, dass man sich verabschieden muss von den Helden, die einen
womöglich über Jahre treu begleitet haben.
Circulus Vitiosus Bibliophilus
Symtpomatik:
„ohne Buch unterwegs“
Die Sehnsucht nach einem Buch, wenn man unerwartet
aufgehalten wird, etwa durch eine Zugverspätung, einem Stau oder einer langen
Wartezeit beim Arzt, und keinen Lesestoff dabei hat. Einerseits ist da dieses
leichte Entsetzen darüber, dass man tatsächlich vergessen hat, sich eine
Lektüre einzustecken, ein kurzzeitiges Fremdheitsgefühl, weil dieses Verhalten
so gar nicht zu einem passen will, andererseits spürt man ein unstillbares
Verlangen nach einer Lektüre. So gerne würde man jetzt ein Buch zur Hand haben,
die Zeit mit wohltuenden Zeilen genießen, endlich den Roman zu Ende zu lesen,
der zuhause auf dem Nachtschrank liegt. Doch in Wahrheit, so muss man einsehen,
ist man der puren Langeweile ausgeliefert und hat keinen Einfluss auf die
Wartezeit. Und während man sich seinen
Zustand bewusst macht, verstärkt sich die Sehnsucht zu lesen - ein Teufelskreis
(lat. Circulus Vitiosus).
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschendas ist ja wunderbar treffend :) ich leide am meisten unter 'Circulus Vitiosus Bibliophilus', es ist ein furchtbarer Zustand, den ich auch durch das ständige Mitführen eines Kindles zu verhindern suche.
LG Anni
Liebe Anni,
Löschenso bedaure ich deine Beschwerden und fühle herzlich mit dir ;-). Bei mir ist es meistens die Legere interruptus, die mich belästigt. Familie, Kind und Hund, die to do's des Alltags etc. Dann wünsche ich uns mal ordentlich gute Besserung :-).
Schön dass du hier warst und viele Grüße
Nisnis
Hey,
AntwortenLöschendas ist wirklich ein kreativer Beiträg. Ich leide definitiv unter der Hälte der vorgestellten Krankheiten :D
Am schlimmsten ausgeprägt ist bei mir aber die horrende Erwartung an Hype-Bücher, bei denen ich nach dem Lesen einfach immer denke: "Ja. Okay... Ganz nett... Wieso finden das jetzt alle so toll?"
Hallo liebe j125,
Löschenoh ja, dafür muss unbedingt auch noch eine Diagnose her. Ich kann manch einen Hype, der mich dann bitter enttäuscht, ebenso nicht nachvollziehen. Man sollte die Hypes abschaffen, da ich sie meistens unehrlich empfinde.
Dankeschön, dass du wieder einmal vorbei geschaut hast :-).
Liebe Grüße
Nisnis
Hier ist mein Rückbesuch (^.^) Danke dir für diesen Post. Ich kann mich ja so richtig in manchen Symptomen wiedererkennen. :) Und ich bin froh, dass es nicht nur mir so geht.
AntwortenLöschenLG Doreen
Hey Doreen,
Löschenja, unter uns gleichgesinnten Leseratten ist das Aushalten dieser Beschwerden um einiges leichter :-).
Viele liebe Grüße
Nisnis
Hallo Nisnis,
AntwortenLöschendas ist ja mal ein amüsanter Beitrag. Ich muss sagen, seitdem ich unter die Blogger gegangen bin, habe ich nicht mehr soviel Beschwerden mit diesen Anzeichen. Hier trifft man auf Gleichgesinnte, die einen verstehen. Auch habe ich eine Buchhändlerin, mit der ich mich gut austauschen kann.
Bei anderen Leuten versuche ich erst gar nicht diese Befindlichkeiten vorzutragen, weil ich weiß, dass sie es wohl nicht verstehen werden.
Liebe Grüße Tanja :o)
Grüße dich "Der Duft von Büchern und Kaffee",
Löschenstimmt, man soll nur dort reden, wo man verstanden wird :-).
Schön dass du hier warst.
Viele Grüße
Nisnis