Kriminalroman - Gastrezension von Lienz - Der einsame Engel von Friedrich Ani

07 Mai 2016

Ein Tabor Süden Roman


Aufrecht bebiert mäandert Tabor Süden durch zerbrochene Münchener Seelen auf der Suche nach einem Vermissten – sehr psychologischer Roman.

http://www.droemer-knaur.de/buch/8848371/der-einsame-engel „Denn“, sagte ich zu Patrizia, „das Glück, das haben wir doch gelernt, es existiert.“ 

Nach dem Brandanschlag auf die Detektei Liebergesell ist deren Zukunft ungewiss. Dennoch nimmt Tabor Süden den Auftrag an, einen Geschäftsmann zu suchen. Aus Sorge, so seine Mitarbeiterin, habe sie sein Verschwinden gemeldet. Bei seinen Ermittlungen stößt Süden schließlich auf eine Wahrheit, die jedes Glück unmöglich macht. 

Im sehr besonderen Stadtcafé in München prallt der Leser unversehens auf Tabor Süden. Besonders, wer ihn (wie ich) noch nicht kennt, erhält auf der Stelle einen starken Eindruck. 

„Wie war dein Wochenende“, fragte sie, und obwohl sie keine Antwort erwartete, schaute sie mich an wie jemand, der am Wortetropf hing. Ich sagte: „Ich war monumental bebiert.“


Oha, was ist das denn für einer, formt sich der Leserin Gedanke. Das kommst du nicht umhin und liest weiter. 

Unbedingt.

Lieblingspassage: 

Heißer Kräutertee


Tabor Süden im Gespräch mit der Frau Kargus an einem Stehtisch am Hauptbahnhof. So viel Wärme so ur-münchnerisch zu vermitteln, das kann, glaube ich, nur ein Friedrich Ani.

Darf ich Sie was fragen? Wie heißen Sie? Sie müssen nicht antworten.“ – „Tabor Süden.“ – „Wie?“ – „Tabor Süden.“ – „Ist das ein Wort?“ – „Tabor ist der Vorname.“ – „Und Süden der Nachname?“ – „Ja.“ – „Sie schwindeln mich an.“ – „Ich schwindele Sie doch nicht an.“ – „Doch.“ – „Ich heiße so.“ – „So heißt niemand.“

Nicht nur ist dieser Dialog mein Highlight, auch die Wärme, mit der Tabor Süden der Frau Kargus begegnet, ist einzigartig.

Der ehemalige Kriminalbeamte Tabor Süden, nun Privatdetektiv, versteht die Kunst des Fragens, in die Leute zu dringen und sie zum Reden zu bringen. Ob diese dabei die Wahrheit sagen, das steht auf einem anderen Blatt. Die Kraft der Gespräche findet sich in treffsicher gesetzten Worten, in der Macht Tabor Südens unbarmherzigen Schweigens den Gesprächspartnerinnen gegenüber. Was diese wiederum zum Weiterplappern animiert, sodass sie sich tiefer in seinen Lügen verstricken. Tabor Süden ist ein Zuhörer, dem nichts entgeht, auch nicht der leiseste Zwischenton.


Der Roman ist in der Ich-Form erzählt, weshalb die Figur des Tabor Süden den Roman zu hundert Prozent trägt. Süden ist ein sehr viriler Typ mit harter Schale und einer weichen Seele, mit vielen Gefühlen. Die er lieber mit Bier zukippt, als sie zu zeigen. Die Gefühle aber wollen raus – sie finden einen Weg. In „Der Einsame Engel“ zeigt sich Südens weiche Seele durch Einwirkung einer Frau. Zurück zum Fall: Wort um Wort geht er erlogenen Wahrheiten auf den Grund und greift, als es nottut, ungeniert zur List.

Auch politische Münchener Wahrheiten fließen in die Gespräche und Tabor Südens Gedanken ein. Der Krimi ist damit ein starker München-Roman, ein Soziogramm der Stadt. 
 
Whodunnit der subtilen Art


Diesen Krimi tragen die handelnden Figuren, nicht eine von Cliffhanger zu Cliffhanger rasende Handlung. Womit sich ein an Letzteres gewöhnte Leser anfreunden wollen muss. Obwohl sich im Roman selbst keiner umbringt, erschießt, gefoltert und so weiter wird, lässt der Text nicht los. Faszination und Sog entstehen durch die Kraft der Dialoge, mit denen sich die Figuren in ihren falschen Wahrheiten verheddern. Bis bloßliegt, wer’s war und warum.

Zwei Dinge haben mich an diesem Roman ein wenig gestört: An manchen Stellen wird die Figur Tabor Süden zu groß und vergisst die Mündigkeit des Lesers. Das führt zum zweiten kleinen Störfaktor, der sachlich nicht korrekten juristischen Einschätzung der begangenen Tat. Das hätte getrost unterbleiben können und erinnert an so manchen schalen deutschen Fernsehkrimi.

4,5 Sterne von 5

Friedrich Anis Tabor-Süden-Romane sind allein wegen der Sprache und Figuren etwas Besonderes. Einen sollte man zumindest gelesen haben. (Ich selbst habe nach dem neuesten jetzt den ersten Tabor-Süden-Krimi begonnen).
 

Autor: Friedrich Ani
Buch: Der einsame Engel

Erscheinungsdatum der Erstausgabe:01.02.2016
Aktuelle Ausgabe: 01.02.2016
Verlag: Droemer Knaur
ISBN: 978-3-426-28147-5
Hardcover, 208 Seiten
Sprache: Deutsch

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