Die (Be-)Deutung der Literatur und ihr Sinn im Leben
Während des Paris-Marathons 2012 läuft Pieter Steinz seine persönliche Bestzeit. Ein Jahr danach, raubt ihm eine leichte Windbrise gnadenlos den Atem. Fortan lauscht er dem Wetterbericht, um 'den' Weg zur U-Bahn zu wählen, bei dem er den Wind im Rücken hat, um sein Büro selbstständig zu erreichen. Er ist immer mehr erschöpft und sogar Gesellschaft scheint ihn zu ermüden.
Im Sommer 2013 erfährt der niederländische Journalist,
Literaturkritiker und Buchautor Pieter Steinz, dass er an der unheilbaren Nervenkrankheit
ALS erkrankt ist. Diese bittere Tatsache nimmt er zum Anlass und schreibt 52
Essays. Er liest erneut seine Lieblingsbücher, von seinen liebsten Autoren (Charles
Dickens, Alexandre Dumas, Shakespeare, Proust, Astrid Lindgren, Thomas Mann,
Kafka, Oscar Wild und weitere große Autoren), und er setzt seine Krankheit und
seinen körperlichen Verfall in Beziehung zur Weltliteratur.
Die Symptome seiner Krankheit interpretiert er in die gelesene
Literatur hinein. Beispielsweise leidet Pieter Steinz unter dem Symptom des
Stimmverlusts, den er thematisch in dem Märchen die kleine Meerjungfrau (Hans
Christian Andersen) wiederfindet. Darin muss sich die kleine Meerjungfrau entscheiden,
ob sie Tanzen oder Sprechen möchte.
Pieter Steinz, geb. 1963 in Rotterdam, arbeitete über
zwanzig Jahre als Redakteur und Buchkritiker bei der Tageszeitung NRC
Handelsblad und wurde 2012 Direktor der niederländischen Stiftung für
Literatur. Neben zahlreichen Artikeln und Buchbesprechungen ist er in den
Niederlanden ein weit geschätzter und vielfach ausgezeichneter Verfasser glänzend
geschriebener Sachbücher über Kunst, Kultur und vor allem Literatur. (Quelle:
Reclam Verlag)
Zitat von Pieter
Steinz
„In der
Anfangsphase meiner Krankheit hatte ich bereits eine Menge verrückter
Geschichten erlebt, in denen untätige Mediziner, Ärzte, die diese Bezeichnung
nicht verdienen, und Bekannte, die sich mit der Krankheit ALS keinen Rat
wussten, eine Hauptrolle spielten. Eine Freundin, die bei der Zeitung
arbeitete, bestand darauf, dass ich sie aufschreibe, doch ich wollte den vielen
schon existierenden Krankengeschichten nicht noch eine weitere hinzufügen. Da
kam mir der Gedanke, dass ich die diversen Aspekte meiner Situation mit der
Literatur verbinden könnte, die ich gerade las oder die ich gelesen hatte –
denn das hatte ich schließlich mein Leben lang getan: als Genussleser und als
Kritiker.
Live by the book, die by the book.
Bei den etwa
sechzig von mir ausgewählten Werken handelt es sich übrigens nicht nur um meine
Lieblingsbücher: Manchmal habe ich mich auch für eines entschieden, weil es
perfekt illustrierte, was ich in einem bestimmten Moment fühlte oder dachte.“
(Quelle: Reclam Verlag/Im Gespräch mit
Pieter Steinz)
Schon an dieser Stelle möchte ich Lesern den „Den Sinn
des Lesens“ sehr ans Herz legen. Jeder Literaturliebhaber hat bereits von
Pieter Steinz Lieblingsautoren gelesen und ich verspreche, dass dieses Werk
sehr bereichern und beeindrucken wird. Es lädt zum Schmunzeln ein, wenn Pieter
Steinz beispielsweise über seine Lebensader aus Plastik schreibt (Magensonde)
oder wenn er hilflos TV-Koma-Glotzen und Koma-Lesen betreibt und beschreibt. Der Sinn des Lesens produziert
auch Wut und schier unerträgliche Hilflosigkeit und er lässt ein Meer aus Tränen
entstehen.
Pieter Steinz Talente sind sein besonderes Gespür für die
Literatur und sein kunstvolles, schriftstellerisches Können. Die 52 Essays gewähren
dem Leser nicht nur Einblicke in die großartige Weltliteratur sondern auch in
den Alltag des erkrankten Autors, nach der bitteren Diagnose ALS (Amyothrophen
Lateralsklerose).
ALS ist eine seltene und unheilbare Nervenkrankheit. Sie
ist der aggressive Bruder der Multiplen Sklerose und sie betrifft die Nervenzellen,
die die Muskulatur versorgen. Pieter Steinz ist von der bulbären Form betroffen,
mit der die kürzeste Lebenserwartung einhergeht und die als erstes das
Atemzentrum betrifft, bis hin zur Lähmung der Atemmuskulatur. Innerlich
plaudert er nach wie vor wie ein Wasserfall, doch inzwischen wollen seine Worte
nur elendig schwerfällig über seine Lippen gleiten.
Erschreckend nüchtern und ehrlich gerade heraus erzählt Pieter
Steinz von seiner Krankheit, inklusive seiner peinlichsten Momente und schätzt
sich dabei dennoch glücklich, dass seine Hände noch nicht gelähmt sind, sodass er noch schreiben
kann. Ihm ist es bewusst dass er seinen Stapel ungelesener Bücher nicht mehr
schaffen wird zu lesen, denn die Zeit dafür ist zu kurz, seine Leseposition raubt ihm bereits den Atem als betreibe er einen Spitzensport und Proust ist ihm längst zu schwer.
Wer nun glaubt dass Pieter Steinz verbittert und klagend
von seiner Krankheit schreibt, dem sei gesagt, dass er dies nicht tut. Sicher hadert
er mit seinem unerbittlichen Schicksal, doch er ist auch dankbar, dass er mit seiner
Familie bisher ein sehr glückliches Leben gelebt hat und dass er einen Beruf
ausübt, der ihn absolut erfüllt. Dieses Wissen schenkt ihm eine innere Zufriedenheit,
die man sich als Leser nur sehr schwer vorstellen kann, die man jedoch jeder seiner Zeilen entnehmen kann.
Pieter Steinz betrachtet in diesem Werk die Literatur und
seine Krankheit ernst, lebensfroh und sogar humorvoll. Oft bringt er mich mit
seinen Anekdoten und Interpretationen zum Schmunzeln und ich frage mich, ob es hinsichtlich
seines Leids angemessen ist, dies zu tun. Ich teile seine Emotionen wie Wut und
Hilflosigkeit gegenüber Situationen, in denen Ärzte, Lebensumstände,
Hindernisse im Alltag und der körperliche- wie seelische Schmerz, die eine große
Rolle in seinem Leben einnehmen. Manchmal klappe ich zutiefst berührt und
traurig den Buchdeckel zu und versuche meine Tränen wegzublinzeln und all das
Gelesene auszuhalten. Doch dann klärt sich mein Blick wieder, denn Pieter
Steinz große Liebe zur Literatur ist so deutlich zu spüren, dass ich all seine
Essays auch sehr genießen kann.
Der Sinn des Lesens ist ein wundervolles Werk und ich
empfehle es jedem Literatur-Liebhaber.
Vielen Dank an meinen lieben Nachbarn Gerd, der mir dieses
besondere Buch geschenkt hat, dass von nun an einen ganz besonderen Platz in
meinem Bücherregal einnimmt. Dr. Gerd Busse arbeitet seit vielen Jahren mit
Pieter Steinz zusammen und er übersetzte dieses Werk aus dem Niederländischen.
Ich werde Pieter Steinz noch vieler meiner Gedanken
schenken.
Nachträgliche Ergänzung, vom 31.08.2016:
Peter Steinz verstarb am 29.08.2016.
Ich bin sehr sehr traurig.
Nachträgliche Ergänzung, vom 31.08.2016:
Peter Steinz verstarb am 29.08.2016.
Ich bin sehr sehr traurig.
Lese-Highlight 2016
Titel: Der Sinn des Lesens
Erscheinungsdatum Erstausgabe : 13.07.2016
Aktuelle Ausgabe : 13.07.2016
Verlag : Reclam, Philipp
ISBN: 9783150110751
Fester Einband
Sprache: Deutsch
Hi
AntwortenLöschenDas ist ja ein cooler Titel. Den hab ich noch nicht gesehen.
Das der Autor starb ist ja traurig :'(
Lieben Gruß an dich 😃
Liebe Nicole Katharina,
Löschensein Tod hat mich wirklich sehr betroffen zurück gelassen.
Das Buch ist unglaublich lesenswert.
Viele liebe Grüße
Nisnis