Kriminalroman - Gastrezension von Lienz - Der letzte Pilger von Gard Sveen

14 August 2016

Die dunkle Seite der Liebe heißt Hass


http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/der-letzte-pilger-9783471351161.htmlEs ist Frühling in Oslo, als ein grausames Verbrechen geschieht: Der ehemalige Widerstandskämpfer Carl Oscar Krogh wird brutal ermordet. Er war eine Institution in Norwegen und stand während des Krieges immer auf der richtigen Seite. Wer bringt einen Mann um, den alle bewundern? 

Kurz zuvor findet man in der Nordmarka drei Leichen. Unter ihnen ein kleines Mädchen. Kommissar Tommy Bergmann ist scharfsinnig, klug und eingefleischter Selbsthasser voller innerer Abgründe. Er sieht einen Zusammenhang: Alle Toten haben eine Verbindung zu Agnes Gerner, einer Agentin des norwegischen Widerstandes gegen die deutsche Besatzung.
Schon bald begreift Bergmann, wie nah Liebe und Hass beieinander liegen. (Quelle: Verlag)


Norwegischer Noir mit einem besonderen Ermittler, der die Fußstapfen des legendären Harry Hole auszufüllen vermag; von Günther Frauenlob großartig übersetzt.
Gard Sveen, geboren 1969, ist Staatswissenschaftler und arbeitet als Seniorberater im norwegischen Verteidigungsministerium. DER LETZTE PILGER ist sein Debüt in der Serie um Tommy Bergmann und wurde mit dem Rivertonpreis 2013 und dem Glass Key Award 2014 ausgezeichnet, dem wichtigsten skandinavischen Krimipreis. Gard Sveen lebt in Ytre Enebakk, einem kleinen Ort in der Nähe von Oslo. (Verlag)
Der Krimi hat mich rundum überzeugt: 

Auf zwei Zeitebenen aufgebaut, fesseln die beiden Handlungsstränge durch die jeweiligen Protagonisten und deren Beweggründe. Ein Handlungsstrang spielt 1945 bzw. 1942 und erzählt gekonnt mit mehrfach durchbrochener Chronologie. Der zweite Handlungsstrang spielt 2003. 

Die Handlung im und am Ende des Zweiten Weltkriegs vermittelt ein mir authentisch erscheinendes Bild, was damals in Norwegen unter deutscher Besatzung passiert sein könnte. Der Leser schlüpft in Agnes Gerners Haut und sieht das Grauen durch ihre Augen. Demgegenüber hat der moderne Handlungsstrang im Jahr 2003 mit Tommy Bergmann einen Protagonisten, der ein würdiger Nachfolger des von mir sehr geliebten Harry Hole werden kann.

Die beiden Protagonisten sind deswegen ganz besonders, weil ihr Innenleben so echt erscheint, weil der Leser sich mit beiden völlig identifizieren kann.
Zwar ist die Handlung sehr komplex, und das eine oder andere wird dem Leser serviert, weil er es sich andernfalls nicht erschließen könnte. Doch erscheint alles ausnahmslos logisch. 

Die starken Charaktere wiegen die Komplexität der Handlung auf, sodass der Fokus beim Lesen auf Agnes und Tommy liegt, anstatt rein auf den Sachverhalt beschränkt zu sein. Alles, was erzählt wird, könnte so gewesen sein. Auch das ist ein großer Pluspunkt. Gleichzeitig ist die äußerst komplexe Handlung ein kleines Minus, weil man schon mal für die Zusammenhänge zurückblättern muss. Aber dies beeinträchtigt das Lesevergnügen, den Spannungssog überhaupt nicht.

Perfekt durchdacht ist auch, wie die beiden Handlungsstränge nach einem Zeitbogen von 60 Jahren zueinander finden. Zudem scheint mir, dass Gard Sveen profundes Geschichtswissen besitzt und außerdem die Gabe, dies erzählerisch unwiderstehlich zu präsentieren.
Die deutsche Übersetzung des Krimis mit dem Originaltitel Den siste pilegrimen verdankt ihre hervorragende Qualität dem Übersetzer Günther Frauenlob. Da ich selber vom Fach bin, kann ich nicht umhin, diese großartige Leistung des Kollegen wieder und wieder zu betonen und zu bewundern. Niemals schimmert durch, dass die deutsche Fassung eine Übersetzung ist. Übersetzer mit seinem Können sind sehr, sehr, sehr rar und machen den norwegischen Krimi zu einem hervorragenden deutschen Buch.

DER LETZTE PILGER ist der Anfang einer Reihe, die ich ganz sicher weiter lesen werde.


Autor: Gard Sveen
Übersetzer: Günther Frauenlob
Erscheinungsdatum Erstausgabe : 26.02.2016
Aktuelle Ausgabe : 26.02.2016
Verlag : List Verlag
Flexibler Einband 544 Seiten
Sprache: Deutsch
 

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